1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Bündnis in Not

10. Februar 2003

Deutschland, Frankreich und Belgien haben gegen die NATO-Planungen für einen Irak-Krieg Veto eingelegt. Die militärische Unterstützung für die Türkei ist somit blockiert. Nun geht es um mehr, meint Alexander Kudascheff.

https://p.dw.com/p/3Fm8

Keine Frage: die NATO steht vor einem politischen und diplomatischen Scherbenhaufen. Schlimmer noch: Sie steht vor einem Fiasko. Denn Deutschland, Frankreich und Belgien haben mit ihrem Veto alle Planungen der Allianz von vornherein gestoppt, der Türkei im Falle eines Irak-Krieges beizustehen - mit Awacs-Aufklärern ebenso wie mit Patriot-Abwehr-Raketen. Die politische Logik des Vetos: Man wolle zurzeit durch Kriegsvorbereitungen ein Signal aussenden, das die letzten diplomatischen Initiativen der UNO versanden lassen könnte. Solange noch eine Chance auf Frieden bestehe, müsse und dürfe man den Krieg nicht vorbereiten.

Diese Logik ist militärisch unsinnig - schließlich schützt man sich gerade durch vorzeitige Planung am besten vor einem irakischen Angriff. Politisch ist diese Logik ein Offenbarungs-Eid. Denn die Bündnis-Solidarität ist die einzige Existenz-Grundlage der NATO. Die Beistands-Pflicht ist - gerade im Falle eines Krieges, eines möglichen Angriffs - das politische und militärische Grundgesetz der Allianz. Wer sie verweigert, legt die Axt an die Pfeiler des Bündnisses. Wozu braucht man eine NATO, wenn sie nicht im Verteidigungsfall einsatzfähig ist? Dies werden sich die alten und die neuen Mitglieder gleichermaßen fragen. Und sie werden sich fragen, ob ein inhaltlich begründetes Nein in einem solchen Eklat enden muss.

Denn das ist klar: Der politische, der diplomatische Scherben-Haufen legt offen, dass es sich nicht mehr allein um Differenzen, Dissonanzen oder einen durchaus üblichen Dissens handelt. Der Riss in der NATO - wie übrigens auch in der EU - ist dramatisch und tief. Er wirkt wie ein Bruch. Die NATO ist paralysiert, sie ist ohnmächtig, handlungsunfähig. Sie ist ein Bündnis in Not.

Und plötzlich wird in diesen schweren Zeiten auch die Sinn-Frage gestellt: Wofür braucht man ein Bündnis, wenn es sich selbst lähmt? Ist die NATO noch jenes kraftvolle militärische Bündnis, das sie in den letzten 50 Jahren war? Oder wird die NATO in der Zukunft bloß noch eine OSZE sein - ein Forum für Appelle und Resolutionen, ohne echte Durchsetzungs-Kraft? Das sind die Fragen, die sich nach dem Veto Frankreichs, Deutschlands und Belgiens stellen. Dabei ist die Lage für die NATO ohnehin schon schwierig. Nach dem Ende des Kommunismus war sie erkennbar auf Sinnsuche. Im Krieg gegen die Taliban in Afghanistan rief sie den Bündnisfall aus - zum ersten Mal in ihrer Geschichte - und erlebte, dass sie nicht gebraucht wurde. Im Kampf gegen den internationalen Terrorismus spielt sie bis jetzt bestenfalls eine Neben-, ja eine Statisten-Rolle. Und die Kluft in den militärischen Fähigkeiten zwischen der Führungsmacht USA und allen anderen NATO-Ländern ist auf mindestens ein Jahrzehnt hin unüberbrückbar. Wenn überhaupt. Denn militärisch ist die NATO ohne Amerika nichts.

Das hat fatale Konsequenzen auch für die politische Lage: Amerika braucht die NATO nicht - und kann sie und damit die Europäer im Regen stehen lassen. Das gefällt vielleicht den traditionell US-kritischen Franzosen, dem Rest Europas aber sicher nicht. Dann das wäre der Anfang vom Ende der NATO - und auch der Anfang vom Ende des Traums des wieder vereinigten Europas.

Washington - mit seiner erkennbaren Lust an Allein-Gängen, mit seinem überbordenden Bewusstsein der eigenen Stärke - hat an der Schwäche der NATO durchaus Schuld. Aber es sind in erster Linie die Deutschen und die Franzosen gewesen, die die Bündnis-Fähigkeit untergraben haben. Der mögliche Irak-Krieg wird also - neben all den unvorhersehbaren Folgen für den Nahen Osten selbst - auch die NATO treffen. Niemals in seiner mehr als 50-jährigen Geschichte war das Bündnis so gefährdet wie heute. Man ahnt plötzlich, warum NATO-Generalsekretär George Robertson so frustiert ist, dass er seinen Vertrag nicht verlängern will - und seinen Rücktritt fast ein Jahr vor der Zeit angekündigt hat.