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Bürger gegen Bauprojekte

Wolfgang Dick16. Juli 2012

Kaum ein Großbauprojekt bleibt ohne Einwände der Bürger. Investoren sprechen schon von einer "Dagegen-Republik". Viele notwendige Vorhaben verzögern sich oder werden gar nicht mehr angegangen.

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Eine Bürgerinitiative verhinderte eine zusätzliche Startbahn am Flughafen München. Der Bau eines Kohlekraftwerks in Datteln sollte das leistungsfähigste Kraftwerk in Europa werden und mehrere Städte mit Energie versorgen. Anwohner stoppten das Projekt durch eine Klage vor Gericht. Dasselbe Schicksal droht einem riesigen Pumpspeicherwerk für Stromreserven im Südschwarzwald.

Obwohl die Wende in der Energiepolitik mehrheitlich befürwortet wird, klagen wieder Bürger vor Ort, weil sie befürchten, dass das Pumpspeicherwerk ihre Umwelt verschandelt. Solche Proteste und Gerichtsverfahren gibt es gegen geplante Straßen und Schienenprojekte, gegen Stromtrassen, Gewerbe- und Industriegebiete. Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) beklagt diese Situation seit vielen Jahren.

Gegner der geplanten dritten Startbahn am Flughafen München freuen sich über ihren Erfolg. Foto: Sven Hoppe dpa/lby
Gegner der geplanten dritten Startbahn am Flughafen München freuen sich über ihren Erfolg.Bild: picture-alliance/dpa

Deutschland lebt von der Substanz

Tatsächlich geht die staatliche Investitionstätigkeit seit 1992 stetig zurück. Sie liegt unter 10 Milliarden Euro und macht damit nur einen Bruchteil der jährlichen Steuereinnahmen von rund 600 Milliarden Euro aus. Vorhandene Straßen verkümmern. Wichtige neue Verbindungen werden nicht gebaut. Um fast acht Prozent schrumpfte das Schienennetz in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren. Dabei nimmt der Güterverkehr und der Bedarf an schnellen Verbindungen rasant zu. "Über 30 Prozent der Akteure aus den Bereichen Logistik, Industrie und Handel sehen sich heute in ihrer Geschäftstätigkeit beeinträchtigt", stellt Stefan Kooths fest.

Demonstranten gegen den Neubau des Bahnhofs in Stuttgart. Foto: Torsten Silz/dapd
Demonstranten gegen den Neubau des Bahnhofs in Stuttgart.Bild: dpad

Der Konjunkturexperte am Institut für Weltwirtschaft in Kiel sieht in dieser Situation keinen Widerspruch zu der jüngsten Studie der Unternehmensberatung "Ernst & Young". Danach genießt Deutschland ein hohes Ansehen bei internationalen Investoren. "Das stimmt zwar im internationalen Vergleich, aber wir leben zunehmend von der Substanz", erklärt Stefan Kooths. Es entstehe zu wenig neue Infrastruktur, die aber in Zukunft dringend benötigt werde, lautet sein Einwand. Viele Experten pflichten ihm bei. Zum Beispiel Günter Krings, Vorsitzender des parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung. Krings Beschreibungen von Trinkwasserleitungen in ländlichen Bereichen schockierten. Gesundheitsschädliche Keime würden sich häufen, weil Abwässer nicht mehr richtig abfließen.

Mythos Bürgerprotest

Dass an den Zuständen bröckelnder Infrastruktur Bürgerproteste gegen viele Bauprojekte schuld seien, bezeichnet Professor Andreas Knie als "völligen Quatsch". Der Gründer des "InnoZ", des Innovationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel, hat sich wissenschaftlich mit der Frage beschäftigt. "Es gibt nicht mehr Proteste als früher auch schon", sagt Andreas Knie. Es stimme auch nicht, dass sich Investoren durch Bürgerproteste abschrecken ließen. "Wir haben keinen einzigen Hinweis darauf, dass Investoren Nein sagen, weil ihnen alles zu lange dauert und es zu viele Bürgerproteste in Deutschland gibt."

Tatsächlich stellte sich die Einmischung von Bürgern in Bauprojekte der Infrastruktur in Deutschland auch schon als Segen für die Gesellschaft dar. Im Fall einer geplanten 380 Kilovolt-Stromleitung durch Ostdeutschland nahmen sogar Wissenschaftler und Ökonomen die Bürgerkritik auf und bestätigten in einer Untersuchung, dass die Leitung weder notwendig und wirtschaftlich nicht zumutbar sei. Brücken und Autobahnabschnitte entpuppten sich nach Bürgerprotesten bei genauerem Hinsehen als unsinnige Ausgaben prestigesüchtiger Politiker. Fachleute stimmten zum Beispiel Bürgern zu, die sich dafür einsetzten, einige der rund 30 Regionalflughäfen in Deutschland abzuschaffen. Tatsächlich gibt es an etlichen dieser Kleinstflughäfen nur einen einzigen Startflug am Tag.

Der Bundesrat innen. Foto: Sebastian Kahnert dpa/lbn
Im Bundesrat herrscht über Infrastrukturprojekte oft Uneinigkeit.Bild: dapd

Das wahre Problem

Wenn es in Deutschland an notwendiger Infrastruktur für die Zukunft fehlt, dann liege das weniger an Bürgerprotesten, an komplizierter Bürokratie in Bauplanungsphasen oder an staatlichen Sparmaßnahmen, sagt Professor Andreas Knie vom Institut "InnoZ". Mangelnde Entscheidungskraft der politisch Verantwortlichen sei vielmehr das Hauptproblem: "Ein Gesamtplan fehlt. Es gibt keine vernünftige Klärung auf Bundesebene, worauf wir das vorhandene Geld konzentrieren wollen."

Stefan Kooths vom Institut für Weltwirtschaft ergänzt, dass dringend Haushaltsmittel durch private Investoren ergänzt werden müssten. Viel stärker als bisher müssten die Nutzer von Infrastruktur auch in die Finanzierung eingebunden werden. Für die Logistikbranche hat die Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers errechnet, dass die Investitionen in Transportwege verdoppelt werden müssten, um das künftige Wachstum zu bewältigen. Das sei nur mit privaten Investoren möglich. Gegen eine Ausweitung ihrer Beteiligung aber gibt es immer noch viel politischen Widerstand in den Länderparlamenten und im Bundestag.

Infrastrukturplanung mit Bürgern

Während an den eigentlichen Ursachen von Infrastrukturbehinderung weiter herumgedoktert wird, ist man sich bei den Bürgerprotesten einig. Sie sollen künftig wichtige Projekte gar nicht mehr oder nur noch wenig beeinträchtigen. "Wir müssen die Bürger viel früher in die Bauplanung einbeziehen und ihnen echte Mitgestaltungsrechte einräumen", ist sich Ingrid Hönlinger sicher. Dafür setzt sich die Abgeordnete der Grünen im Rechtsausschuss des Bundestags ein.

Bürger der Energiegenossenschaft Honigsee, Schleswig-Holstein: Foto: Richard Fuchs,DW
Energiegenossenschaft Honigsee - Bürger bringen sich ein.Bild: DW/R. Fuchs

Gerne erzählt sie, wie das funktionieren kann. So bilden sich zum Beispiel in mehreren Gemeinden Energie-Genossenschaften, in denen Bürger Windenergieräder mitfinanzieren. Weil sie an den Anlagen später auch verdienen, gibt es keine Klagen gegen diese Windräder. Beim Ausbau des Frankfurter Flughafens waren vom Lärm betroffene Anlieger rechtzeitig in alle Entscheidungen eingebunden. Planungen und Genehmigungen haben dadurch zwar länger gedauert, aber sie konnten schließlich umgesetzt werden.