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Bürgerrechtler im Kreuzfeuer zwischen Regierung und Mafia

Hao Gui 22. Juni 2006

Chinesische Bürgerrechtler leben gefährlich. Die Regierung lässt sie verprügeln oder entführen, um sie mundtot zu machen. Jüngstes Beispiel - der Fall Chen Guangcheng.

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Chinesische Bauern protestieren in Peking gegen die Korruption im LandBild: AP

Chen Guangcheng hat sich bei der chinesischen Regierung unbeliebt gemacht. Seitdem der blinde Bauer aus der Provinz Shandong durch Selbststudium Jurist geworden ist, setzt er sich für die Bäuerinnen aus seiner Provinz ein. Er wehrt sich gegen die Politik der Geburtenkontrolle, derzufolge jede Frau in China nur ein Kind bekommen darf.

Im März 2006 deckt der 34-jährige Chen einen Skandal auf: die chinesische Regierung ließ mehr als 100.000 Frauen zwangssterilisieren. Wenig später verschwindet Chen spurlos. Drei Monate lang. Erst in der vergangenen Woche bekommt seine Frau einen Brief von der Polizei: Chen sitzt im Gefängnis. Am Montag (19.6.) meldet sein Anwalt Teng Biao: Unbekannte hätten auch Chens Mutter und seinen dreijährigen Sohn in Peking entführt.

Mutter und Sohn entführt

"So gegen 19 Uhr verließ Chens Familie meine Anwaltskanzlei", berichtet der Anwalt Teng. "Ich begleitete sie zum Ausgang. Draußen stand ein Auto ohne Kennzeichen. Es stiegen zehn kräftige Männer in Zivilkleidung aus. Sie schleppten Chens Mutter und seinen Sohn mit Gewalt ins Auto. Ich stellte mich sofort vor das Auto und rief die Polizei. Es kam ein Streifenwagen. Die Polizisten haben sich informiert und die Zentrale verständigt. Kurz darauf drängten mich die Polizisten gewaltsam aus dem Weg und ließen das Auto mit den Geiseln abhauen." Die Männer hätten weder Dienstausweise noch gerichtliche Dokumente vorgezeigt. Der Anwalt vermutet, dass sie aus Chens Heimatprovinz Shandong kamen.

"Das ist nicht das erste Mal, dass unbekannte Männer die Ermittlungen in Chens Fall stören", berichtet Yao Yao. Er ist Mitglied der 'Open Constitution Initiative' - einer Vereinigung aus prominenten Rechtsanwälten, die sich für Bürgerrechte einsetzt. Schon im letzten Jahr, als sich die Anwälte der Initiative auf den Weg in die Provinz Shandong machten, um Chen Guangcheng zu beraten, wurden sie von Unbekannten verprügelt. Die Polizisten, die in der Nähe des Tatorts standen, hätten nur zugeschaut. "Solche Fälle kommen ziemlich häufig vor", sagt Yao Yao. "Man könnte annehmen, dass solche Leute Staatsbedienstete seien. Wenn wir aber deswegen Anzeige bei der Polizei erstatten, würden sie sagen, dass ihre Ermittlungen zu keinem Ergebnis geführt hätten.“

Nach TV-Bericht fast totgeprügelt

Fu Xiancai
Fu Xiancai kritisierte Chinas Regierung öffentlich - und wurde danach fast totgeprügeltBild: PA/dpa

Chen ist kein Einzelfall. Der Umweltaktivist Fu Xiancai, der sich im deutschen Fernsehen (ARD) kritisch zur Umsiedlung von zahlreichen Bürgern wegen des umstrittenen Drei-Schluchten-Damms am Yangtse-Fluss geäußert hatte, wurde ebenfalls von Unbekannten geschlagen. „Ich war zuvor kurz im Amtsgericht", berichtet er. "Dann war ich bei der Polizeivernehmung. Auf dem Heimweg wurde ich von Unbekannten überfallen. Ich denke, sie gehören zu der einheimischen Mafia, die im Regierungsauftrag zuschlägt.“

Fu wurde schwer an der Wirbelsäule verletzt und ist seither von der Schulter abwärts gelähmt. Erst mit finanzieller Unterstützung der deutschen Botschaft in China konnte er operiert werden. Die Täter konnte die Polizei bislang nicht fassen. Der bekannte Regimekritiker Liu Xiaobo ist sich sicher, dass auch im Fall von Fu Xiancai die Mafia ihre Finger im Spiel hatte. "Die einfachen Bürgerrechtler werden seit Jahren systematisch von der Regierung unterdrückt. Die Behörden setzen Polizei oder Soldaten ein oder schalten einfach die Mafia ein. Die Zentralregierung drückt in diesen Fällen ein Auge zu oder segnet sie sogar ab."

Mafia handelt im Regierungsauftrag

Dennoch ist Yao der Meinung, dass China insgesamt auf einem guten Weg in Richtung Rechtsstaat sei. Deswegen versuchten Regierungen auf unterschiedlichen Ebenen, selbst "sauber" zu bleiben - und ließen die Mafia die "Drecksarbeit" machen. "Wir hatten geglaubt, die Regierung ist absolut mächtig. Sie hatten schließlich alle möglichen Instrumente, um gegen ihre Gegner vorzugehen - im 'Namen des Volkes'. Aber mit den Fortschritten in Richtung Rechtsstaat ist der Staat jetzt nicht mehr in der Lage, beliebige Strafen gegen unbeliebte Menschen zu verhängen." Deswegen müssten sie, wenn sie wirklich keine Ausrede finden und trotzdem hart eingreifen wollen, das ganze sozusagen ‚illegalisieren’.

Das heißt: die Mafia wird beauftragt, Probleme zu lösen, an denen sich die Regierung selbst nicht die Finger schmutzig machen will. Vielerorts ist es ein öffentliches Geheimnis, dass die Polizei Kontakte zu Kriminellen pflegt. Die Strafverfolgung fällt dann meist entsprechend schlampig aus, die Täter können laut offiziellen Angaben angeblich "nicht ermittelt" werden. Weitere Nachforschungen versprechen ebenfalls keinen Erfolg.