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Bologna-Abstinentler

28. November 2011

Die Umstellung auf die neuen Abschlüsse geht voran. Erstmals gab es mehr Bachelor-Titel als traditionelle Diplom- oder Magister-Abschlüsse. Doch einige Fächer wie Jura und Medizin bleiben bewusst bei ihrem alten System.

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Am Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde des Universitätsklinikums in Leipzig bespricht eine Zahnärztin im Winterkurs für Vorklinische und Klinische Propädeutik mit einem Zahnmedizinstudenten ein von ihm angefertigtes Gebiss (Foto: dpa)
Kein Zahnarzt ohne StaatsexamenBild: picture-alliance/dpa/dpaweb

Zura fängt von vorne an. Bereits zum zweiten Mal studiert er Jura. Sein erstes Rechtswissenschaftsstudium hat er in Georgien abgeschlossen. "Ich möchte gerne in einer europäischen Organisation arbeiten, aber mein georgisches Diplom wird in der EU nicht anerkannt. Deswegen habe ich beschlossen, in Deutschland noch einmal Jura zu studieren."

Zura Karaulashivili ist 24 Jahre alt und jetzt zum zweiten Mal im fünften Semester. Das störe ihn aber überhaupt nicht, sagt er: "Das ist doch logisch, dass ich komplett von vorne anfangen muss. Jedes Land hat ja ein eigenes Rechtssystem."

"Mehr als Bachelor und weniger als Master"

Da jedes Land auch seine eigene Rechtswissenschaft hat, ist ein vergleichbarer Abschluss, wie ihn der Bologna Prozess vorsieht, schwierig. In Deutschland ist das Jura-Studium streng durchnormiert. Wer später als Anwalt oder Richter arbeiten will, muss das sogenannte 2. Staatsexamen bestehen. In den ersten Semestern lernen Studierende sämtliche juristische Grundlagen, anschließend wählen sie einen Schwerpunkt. Dann verschwinden sie für zwei Semester in den Bibliotheken und wiederholen im sogenannten Repetitorium alles, was sie bisher gelernt haben. Nach vier bis fünf Jahren müssen sie dann einen Prüfungsmarathon bestehen und schließen zunächst mit dem Ersten Staatsexamen ab.

Ein Student lernt in der Bibliothek der Universität Bonn (Foto: Universität Bonn)
In der Bibliothek: Büffeln für den PrüfungsmarathonBild: Universität Bonn

Zura, der ehrenamtlich in der Studentischen Beratung arbeitet und dort auch häufiger mit Erasmus-Studenten zu tun hat, erklärt das so: "Das erste Staatsexamen ist mehr als ein Bachelor, aber weniger als ein Master." Früher gab es neben dem Staatsexamen auch Diplom- oder Magister-Studenten in anderen Studienrichtungen, beides ebenfalls deutsche Studienabschlüsse, die nun aber durch Bachelor und Master abgelöst werden.

Das sogenannte Bologna-System soll Studienabschlüsse EU-weit vergleichbar machen und den Austausch von Studierenden angeblich erleichtern. Die Juristen müssen die umstrittenen Studienreformen bislang nicht mit machen. "Zum Glück", sagt Professor Bernd Heinrich. Er ist Dekan an der juristischen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität und entschiedener Gegner von BA- und MA-Abschlüssen, insbesondere in der Rechtswissenschaft. "Recht ist trotz der EU immer noch zu 90 Prozent nationales Recht. Ein Austausch innerhalb von Europa passt für Juristen einfach nicht."

Staatsexamen haben guten Ruf

Außerdem glaubt Heinrich an den Studiengang, so wie er derzeit strukturiert ist. "Wir bilden in Deutschland sogenannte Volljuristen aus, die im Anschluss an das Studium sowohl als Anwälte, Richter oder Staatsanwälte arbeiten können." Dieses "Erfolgsprojekt" würde von vielen Ländern neidisch betrachtet werden. "Das wollen wir uns eben nicht nehmen lassen." Professor Heinrich hofft sogar, dass bereits reformierte Studienfächer wieder zu den bisherigen deutschen Studienabschlüsse zurückkehren.

Ganz anders sehen das die Mediziner in Berlin. An der renommierten Charité, der medizinischen Fakultät, ist bereits ein Modellstudiengang eingeführt worden, der BA- und MA-Abschlüsse möglich machen könnte – allerdings nur theoretisch, denn der Gesetzgeber hat das Medizinstudium bislang von den Bologna-Reformen ausgenommen.

Studentinnen der Human- und Zahnmedizin sitzen bei einem Kurs im Mikroskopiersaal am Institut für Anatomie der Universität in Leipzig (Foto: dpa)
Im Hörsaal: Durchblick nur mit Staatsexamen?Bild: picture-alliance/ZB

"Nicht nur bundesweit, auch bei uns an der Charité sind die Umstrukturierungen stark umstritten", sagt Burkhard Danz. Er ist Referatsleiter für Studienangelegenheiten an der Charité. Bislang schließen Medizinstudenten in Deutschland ihr Studium mit einem Staatsexamen ab. Befürworter der traditionellen Studienordnung befürchten, dass die Qualität der Lehre mit der Einführung von Bachelor und Master gefährdet sei. "Die Ansprüche in der Medizin sind zu Recht sehr hoch", sagt Danz. "Wir wollen schließlich, dass ein Arzt auch wirklich ein Arzt ist."

Mediziner halten am Staatsexamen fest

Daher ist auch EU-weit geregelt, dass ein angehender Arzt mindestens ein sechsjähriges Studium mit über 5000 Semesterwochenstunden absolviert haben muss. Warum also einen Bachelor-Abschluss einführen, der nur einer dreijährigen Studienzeit bedarf? "In meinen Sprechstunden habe ich manchmal Studenten sitzen, die ihr Studium aus welchen Gründen auch immer nicht beenden können. Und die stehen dann ohne jeden Abschluss da, obwohl sie mehrere Jahre studiert haben", sagt Danz.

Der neue Modellstudiengang an der Charité würde es erstmals in Deutschland möglich machen, dass Medizinstudenten erst einen BA, dann einen MA und schließlich das traditionelle Staatsexamen absolvieren könnten. Allerdings sei das politisch bislang nicht gewollt, so Danz. "Hier entscheiden viele unterschiedliche Gremien, und da gibt es bislang keinen Konsens." Arzt werden könnten Studenten mit einem BA-Abschluss nicht, dafür könnten sie in anderen medizinischen Berufen arbeiten, beispielsweise als Medizin-Journalist.

Die deutsche Hochschullandschaft ist im Übrigen nicht die einzige, die an herkömmlichen Studienstrukturen festhält. BA- und MA-Abschlüsse für Medizin werden innerhalb Europas derzeit nur in der Schweiz und den Niederlanden angeboten.


Autorin: Nadine Wojcik
Redaktion: Gaby Reucher