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Bagdad zum Trotz

28. September 2011

Die Musikerinnen Aya und Doaa wollen einfach nur ein ganz normales und modernes Leben im Irak führen - und das trotz anhaltender gewalttätiger Ausschreitungen und Restriktionen gegen Frauen und Musiker.

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Ausflug nach Köln des National Youth Orchestra of Iraq, am Freitag (23.09.2011), die im Rahmen des Beethovenfestes in Deutschland sind. (Copyright: Naomi Conrad / DW)
Bummeln in KölnBild: N. Conrad/DW

"Ich habe noch nie einen Straßenmusiker in Bagdad gesehen", meint Aya Isham achselzuckend. Auch nicht während Saddam Husseins Regime vor dem Krieg, als noch keine Bomben fielen und es keine Selbstmordattentäter gab. Damals war es noch relativ sicher auf Bagdads Straßen.

Es ist ein warmer sonniger Freitag in Kölns Fußgängermeile. Leute mit Plastiktüten und Studenten, die ihre Räder schieben, bleiben stehen und lauschen einem Straßenmusiker, der Vivaldi spielt. Doch Aya nimmt die Läden, die Studenten und den Sonnenschein kaum wahr. Sie ist damit beschäftigt, die Musik mit ihrem grünen, schicken Smart Phone aufzunehmen. "Er ist wirklich gut", sagt sie und kann ihre Augen kaum von dem Geiger abwenden. "Ich wünschte, ich könnte ihn mit nach Bagdad nehmen."

Musizieren zwischen Bomben und Trümmern

Aya Iham, Mitglied des irakischen Orchesters, macht ein Foto von Straßenmusikern (Foto: Naomi Conrad / DW)
Aya schwärmt für StraßenmusikBild: DW

Aya Isham ist selbst Geigerin. Sie ist Mitglied des National Youth Orchestra of Iraq, das 2008 von einer irakischen Emigrantin in Großbritannien gegründet wurde. Die 43 Mitglieder verbringen zur Zeit zwei Wochen in Deutschland. Ihr Terminkalender ist voll, jeden Tag proben sie mit dem Dirigenten bis spät in die Nacht. Im Irak werden die Proben normalerweise per Internet abgehalten, via Facebook und Skype.

Es ist der erste freie Tag seit knapp einer Woche, und Aya und ihre Freundin Doaa Assawi, eine Oboe-Spielerin, machen sich zu einem Musikgeschäft in Kölns Innenstadt auf. Die beiden Mädchen wollen Rohrblätter für die Oboe und Geigensaiten kaufen. In Bagdad gibt es keine Musikgeschäfte, so dass die Mitglieder des Jugendorchesters sich mit notdürftig zusammengeflickten, alten Instrumenten behelfen müssen.

2003 begann die Invasion, die Saddam Hussein stürzen sollte, und Doaa Assawi wurde zu Verwandten ihrer Mutter außerhalb der Stadt geschickt. Als sie zurückkam, war in die Schule eingebrochen worden, und alle Instrumente wurden zerstört, erzählt sie. Zwischen den Trümmerfeldern des Kriegsschauplatzes öffnete die Schule erneut ihre Pforten - trotz der anhaltenden Gewalt, diesmal seitens der Fundamentalisten. Doaas Oboenlehrer hatte, wie viele gebildete Iraker, sein Land schon in den ersten Kriegstagen verlassen. Also musste sich die junge Frau - wie so viele Mitglieder des Jugendorchesters - das Spielen selbst beibringen.

Douaa. Mitglied des irakischen Orchesters, mit Straßenmusikern (Foto: Naomi Conrad / DW)
In Bagdad gibt es keine Straßenmusiker, bedauert DoaaBild: DW

Aufpasser und Piercing-Verbot

Aya posiert mit kurzem Haar, kurzem schwarzem Rock und Lederstiefeln für ein Foto mit dem Straßenmusiker. Sie behauptet, die einzige Frau in Bagdad mit kurzen Haaren zu sein. Die Sachen habe sie in Deutschland gekauft, aber so würde sie auch zuhause rumlaufen, sagt sie stolz und herausfordernd.

Ist das denn ohne Repressalien möglich? "Natürlich macht das viele, viele Probleme, aber ich kümmere mich nicht darum", sagt Aya auf Englisch mit starkem arabischen Akzent. "Ich will mein Leben genießen." Und deswegen verstecke sie weder die kurzen Haare noch ihre vierfach gepiercten Ohrläppchen unter einem Schal.

Ayas Familie ist sehr liberal. Sie erlaubt ihr zu reisen, zu musizieren und sogar, mit Männern zusammen zu sitzen. Trotzdem kann sie nicht zulassen, dass die Tochter in Bagdad ohne männliche Begleitung durch die Straßen zieht. Jedes Mal, wenn Aya das Haus verlässt, ist jemand bei ihr: der Vater, ein Freund oder ein männlicher Verwandter.

Behutsam zupft Aya an ihrem neuen Piercing: ein silberner Knopf direkt unter der Lippe. Wenn sie zurück in den Irak fährt, muss sie ihn wieder rausnehmen. Zuhause und im Haus einer Freundin will sie ihn tragen, aber in der Öffentlichkeit nicht. Das sei in Bagdad nicht möglich. "Ich will doch nur ein modernes Leben führen", sagt Aya. Sie sagt modern und meint: normal. Sie möchte einfach nur mit ihren Freunden durch eine Einkaufsstraße schlendern, Musikern zuhören und Geigensaiten kaufen können.

Ein Stück Alltag

Dooa Assawi (Foto: Naomi Conrad / DW)
Doaa genießt den EinkaufsbummelBild: N. Conrad/DW

Das Leben in Bagdad ist alles andere als normal. Es sei zwar besser geworden, meint Aya, aber immer noch gehen Bomben hoch. Am schlimmsten sei es allerdings 2006 und 2007 gewesen, als auf dem Schulweg Leichen am Straßenrand lagen. Damals kam sie immer vollkommen geschockt und tränenüberströmt nach Hause. Musiker trauten sich nicht, ihre Instrumentenkästen zu tragen, zu oft wurden diese für Bombenbehälter gehalten. Aber jetzt werde die Stadt langsam wieder aufgebaut, erzählt Aya. Trotz der anhaltenden Gewalt ziehe wieder ein Stück Alltag in Bagdad ein.

Ihre Freundin Doaa Assawi ist stolz darauf, ihren Lebensunterhalt als Musikerin zu verdienen -  und das in einem Land, in dem viele Menschen westlicher Musik mit großen Vorbehalten gegenüber stehen, genauso wie weiblichen Musikern. "Bei unseren letzten drei Konzerten kamen so viele Leute, dass es nicht genug Sitzplätze für alle gab", sagt Doaa stolz. Das sei doch ein Zeichen, dass westliche Musik zunehmend akzeptiert werde. Nur eine Tante habe sich beschwert, sie solle sich doch einen besser bezahlten Job suchen. Und dann lächelt Doaa - genau wie Musikerinnen aus dem Westen es tun, wenn die Familie Einwände gegen die unsichere Berufswahl vorbringt.

...einfach das Leben genießen

Aya im Donutsladen (Foto: Naomi Conrad / DW)
Aya im DonutsladenBild: N. Conrad/DW

Das Musikgeschäft in Köln ist geschlossen. Ein kleines Schild im verstaubten Schaufenster weist darauf hin, dass der Laden umgezogen ist. Aya und Doaa entscheiden sich, erstmal einen Happen zu essen. "Köln ist so schön", schwärmen sie. Sie würden gern irgendwann mal wiederkommen.

"Ich liebe es einzukaufen", lächelt Aya. Iraker hätten ein Faible für teure Markenkamotten, erklärt sie, doch unter Saddam sei es unmöglich gewesen, etwas von Gucci oder Louis Vuitton zu ergattern. Jetzt sei das anders, und ihre Landsleute würden sich, wenn möglich, immer nach der neuesten Mode einkleiden.

Aya und ihre Freundin kaufen sich ein paar Donuts in einer Fast Food-Kette. Auch das gibt es nicht in Bagdad. Ebenso wenig wie Einkaufsstraßen, wo junge Mädchen ohne männliche Aufpasser oder Angst vor hochgehenden Bomben entlang schlendern können. Schwatzend und kichernd, das Kinn von Donuts verschmiert, verschwinden Aya und Doaa in einem Laden - zwei junge Frauen, die an einem sonnigen Freitagmorgen shoppen gehen.

Autoren: Naomi Conrad & Rim Najmi
Adaption/ Redaktion: Suzanne Cords