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Balkan-Flüchtlinge als Krankenpfleger?

Bernd Gräßler29. Juli 2015

Grünen-Ministerpräsident Kretschmann fordert für Flüchtlinge vom Westbalkan einen "Einwanderungskorridor" in den Arbeitsmarkt. Den gibt es bereits. Aber er ist eng, hürdenreich und weitgehend unbekannt.

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Deutschland - Flüchtlingsunterkunft Trier
Bild: picture-alliance/dpa/H. Tittel

Die Stimme von Winfried Kretschmann hat Gewicht in der aufgeheizten deutschen Debatte über den Flüchtlingsstrom vom Westbalkan. Einerseits ist der baden-württembergische Ministerpräsident Grüner und gilt damit a priori als Befürworter einer liberalen Zuwanderungspolitik. Andererseits hat er mit seinem Ja im Bundesrat ermöglicht, dass die Bundesregierung Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu sicheren Herkunftsstaaten erklären konnte.

Für Albanien, Montenegro und das Kosovo hält Kretschmann - unter heftigen Protesten aus seiner eigenen Partei - eine ebensolche Einstufung für möglich. Damit könnten auch Asylbewerber aus diesen Ländern, deren Anträge ohnehin zu über 99 Prozent abgelehnt werden, schneller wieder in ihre Heimatländer abgeschoben werden. Eine enorme Entlastung wäre das nicht nur für die Kommunen in Baden-Württemberg, sondern für alle Bundesländer, wo man mittlerweile bereits Zeltlager aufbaut, um die Ankömmlinge unterzubringen. Rund 40 Prozent von ihnen kommen in diesem Jahr vom westlichen Balkan, die meisten aus Albanien und dem Kosovo.

Flüchtlinge unterwegs

Kretschmanns "Wiedergutmachung"

Sozusagen im Gegenzug - als "Wiedergutmachung", spottet die linke Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen - fordert Kretschmann von der Bundesregierung, sie solle "legale Zugänge zum Arbeitsmarkt" für Flüchtlinge vom Westbalkan schaffen. "Wir könnten Einwanderungskorridore für die hiesigen Mangelberufe, etwa für das Pflegepersonal, schaffen“, erklärt er. Denn der Westbalkan gehöre zu Europa und müsse stabilisiert werden. Doch wer wissen möchte, was sich der baden-württembergische Regierungschef unter diesem besonderen "Einwanderungskorridor" vorstellt, hat wenig Glück. Die Pressestelle des Ministerpräsidenten erklärt sich nicht für zuständig und verweist auf das Integrationsministeriums. Dort erhält man nach mehreren Stunden die Antwort, man möge sich doch an - die Pressestelle des Ministerpräsidenten wenden. Ein einsamer genervter Pressereferent in Stuttgart berichtet von "250 Journalistenanfragen".

Bundesparteitag der Grünen
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried KretschmannBild: picture-alliance/dpa/Jens Büttner

So bleibt also unklar, was Winfried Kretschmann meint. Ist es der sogenannte "Spurwechsel" von Flüchtlingen, für den sich vor allem Wirtschaftsverbände stark machen?

Absage aus dem Innenministerium

So schlägt der Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), Bernd Meurer vor, qualifizierte Flüchtlinge gleich bei ihrer Einreise darauf hinzuweisen, dass es noch einen anderen Weg als das Asylverfahren gibt, eine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland zu bekommen, nämlich als Fachkräfte. "Dann müssten sie nicht erst in ihre Heimatländer zurückkehren, um einen entsprechenden Antrag zu stellen", sagte Meurer der DW. Gerade im Pflegebereich wäre - ausreichende Deutschkenntnisse vorausgesetzt - ein schneller Einstieg in den Job möglich, denn das Ausbildungsniveau von Krankenpflegern aus Bosnien-Herzegowina und Serbien ist in etwa mit dem in Deutschland vergleichbar. Nicht zufällig rekrutiert die Bundesagentur für Arbeit (BA) in beiden Ländern bereits Pflegepersonal, allerdings mit mäßigem Erfolg. 2013 und 2014 wurden jeweils 100 Bewerber nach Deutschland vermittelt.

Einen sogenannten "Spurwechsel" für Flüchtlinge bei ihrer Ankunft in Deutschland lehnt allerdings das Bundesinnenministerium ab. Einwanderung in den Arbeitsmarkt und Asyl seien zwei grundverschiedene Dinge, heißt es dort. Bereits vor einigen Tagen kam aus der Bundesagentur für Arbeit der Wunsch, hochqualifizierten Flüchtlingen zu ermöglichen, über die Blue Card einen Aufenthaltsstatus zu erlangen. Postwendend erfolgte eine Absage durch Innenstaatssekretär Günter Krings: "Wenn wir Zuwanderungswilligen sagen: Kommt erst mal her, dann sehen wir, ob ihr über den Asylantrag oder die 'Blue Card' bleiben könnt, würde das enorme zusätzliche Anreize für den Missbrauch des Asylverfahrens schaffen", sagte er in einem Zeitungsinterview, "die Asylbewerberzahlen würden deutlich in die Höhe schnellen".

Über 100 Berufe in der "Positivliste"

Das gelte natürlich sinngemäß nicht nur für Hochqualifizierte sondern auch für den Umgang mit Fachkräften wie Krankenpflegern unter den Flüchtlingen, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums der DW. Außerdem sehe man keine größere Notwendigkeit für eine solche Gesetzesänderung, weil Asylbewerber neuerdings nach drei Monaten ohnehin arbeiten dürfen, unabhängig davon, ob ihr Antrag bereits entschieden ist oder nicht.

Beruf Krankenpfleger
Ausländische Krankenpfleger sind in Deutschland gefragtBild: Fotolia/Photographee.eu

Als geeigneten "Einwanderungskorridor" verweist man auf die bereits seit 2013 existierende und regelmäßig aktualisierte "Positivliste" der Bundesagentur für Arbeit. Hier sind derzeit über 100 unterschiedliche Mangelberufe aufgeführt, in denen ausländische Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Ländern gute Chancen haben, darunter auch Kranken- und Altenpfleger. Die Jobangebote seien schlichtweg zu wenig bekannt, betont man im Bundesinnenministerium. Dringend notwendig sei eine Aufklärungskampagne, wie die Menschen nach Deutschland einwandern könnten.

Das ist auch eines der Argumente, mit denen Bundesinnenminister Thomas de Maizière bisher den Forderungen nach einem neuen Einwanderungsgesetz begegnet.

Kann ein Krankenpfleger Alte pflegen?

Allerdings ist nicht nur mangelnde Informiertheit ein Grund dafür, dass vorhandene Angebote so wenig genutzt werden, meint man beim Bundesverband der privaten Anbieter sozialer Dienste. Ein leidiges Problem sind die Sprachkenntnisse. Verlangt wird das Sprachniveau 2B nach EU-Standard. "Hier gibt es zu wenige Angebote von deutscher Seite" beklagt bpa-Präsident Meurer.

Auch die Anerkennung der Qualifikation gleiche oft einem Hürdenlauf. So wird beispielsweise in der Altenpflege vom ausländischen Bewerber vor möglichem Arbeitsantritt ein befristetes Praktikum in deutschen Altersheimen gefordert. Der Grund: In den meisten anderen Ländern gibt es den Ausbildungsberuf Altenpfleger gar nicht. Der Berufsnachweis als Krankenpfleger reicht den deutschen Behörden aber nicht.