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Barmherzigkeit – Selber tun, was ich selber kann

6. Mai 2016

„Was soll ich dir tun?“: Zum Jahr der Barmherzigkeit beleuchtet Franziskanerpater Heribert Arens von der katholischen Kirche die Heilung des blinden Bartimäus und stellt fest: Barmherzigkeit nimmt den Menschen ernst.

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„Heilung eines Blinden“, Carl Bloch (1871)Bild: Public Domain

Er war blind und saß an einer Hauptstraße kurz vor Jericho. Bartimäus hieß er. Viele Menschen kamen dort vorbei. Er konnte sie nur hören, nicht sehen. Darum sagten sie ihm: Jesus ist unter den Menschen, die an dir vorbeilaufen. Da schrie er: „Jesus, hab Erbarmen mit mir!“ „Sei still! Halt den Mund!“ – forderten ihn die Leute auf. Er aber dachte gar nicht daran, stattdessen schrie er noch viel lauter: „Hab Erbarmen mit mir, Jesus!“ Und der blieb tatsächlich stehen. „Ruft ihn her!“ sagte er. Und die gleichen Leute, die ihn gerade noch zum Schweigen bringen wollten, forderten ihn jetzt auf: „Steh auf, er ruft dich.“ Da warf er seinen Mantel weg, sprang auf und lief auf Jesus zu. Der fragte ihn: „Was willst du von mir?“ „Ich möchte wieder sehen können.“ Und Jesus sagte zu ihm: „Geh! Dein Glaube hat dir geholfen.“ Im gleichen Augenblick, so endet diese Erzählung aus dem Markusevangelium, konnte er wieder sehen. (Mk 10,46-52)

Starker Wille, zu leben

Stark, dieser Blinde! Stark aber auch die Art, wie Jesus mit ihm umgeht. Der Mann ist blind. Doch er will leben. Darum setzt er sich an eine Straße. Da müssen die Menschen auf ihn aufmerksam werden. Mutig! Wer sich in seinem Leid zurückzieht, darf sich nicht wundern, wenn ihn niemand beachtet. Er dagegen setzt sich an die Straße. Da ist er nicht zu übersehen. Jesus kommt vorbei. Von dem hatte er gehört, auch, dass er Kranke geheilt hat. Das ist die Chance für ihn. „Jetzt oder nie!“ – und er schreit laut nach Jesus. Doch da sind die Leute, die ihm den Mund verbieten wollen. Bartimäus ist das egal. „Das ist meine Chance! Jetzt oder nie!“ Er kämpft für sein Anliegen und schreit noch lauter. Ich bewundere seinen Mut und seine Kraft.

Jesus bekommt das mit und bleibt stehen. Die Hartnäckigkeit dieses Mannes entlockt ihm Respekt. Das gefällt ihm: ein Mensch, der sich angesichts seines Leids von seiner Umgebung nicht einschüchtern lässt. Da will er nicht vorübergehen. Dieser Mann ruft jetzt nach ihm. Dieser Mann wird in diesem Augenblick zum wichtigsten Menschen für ihn. „Ruft ihn her“, sagt er. Das überrascht mich. Von einem „barmherzigen Jesus“ hätte ich doch erwartet, dass er auf den Mann zugeht. Schließlich ist der blind, kann nicht sehen, wohin er tritt. Doch Jesus sagt: „Der soll kommen!“ Und recht hat er! Es gibt so eine fürsorgliche Barmherzigkeit, die alles für den anderen tun will – gut gemeint, aber demütigend und verletzend. Auch wenn einer hilfsbedürftig ist: was er selber tun kann, das soll er auch selber tun. Eine Überfürsorglichkeit kann demütigen. Denn sie traut dem anderen nichts zu. Jesus weiß: Auch ein Blinder kann eigene Schritte tun!

Im Vertrauen auf Christus

„Geh hin, er ruft dich! Nur Mut“ fordern ihn die auf, die ihn vorher zum Schweigen bringen wollten. Erstaunlich, wie diese Leute ihre Fahne nach dem Wind drehen! Da wirft der Blinde seinen Mantel ab, springt auf und rennt der Stimme nach, die er gehört hat: zu Jesus. Die Hoffnung auf Heilung setzt ungeahnte Kräfte in ihm frei. Und dann steht er vor Jesus. „Was soll ich dir tun?“ fragt Jesus. „Aber Jesus! Du siehst doch, der Mann ist blind und möchte sehen!“ Trotz dieses Einwands: Mir gefällt die Frage Jesu. Ich finde Menschen unerträglich, die immer schon, ohne zu fragen, wissen, was gut für mich ist. Woher wissen die das eigentlich? Mit der Frage „Was soll ich dir tun?“ nimmt Jesus den Blinden ernst. Und der sagt, was er möchte: „Ich möchte sehen können.“ Da sagt ihm Jesus: „Dein Vertrauen hat dir geholfen.“ Und er schenkt ihm das Augenlicht.

Diese biblische Erzählung ist mir im Jahr der Barmherzigkeit, das wir in der katholischen Kirche begehen, ein beeindruckendes Lehrstück: Barmherzigkeit tut nichts für den anderen, was er selbst tun kann und soll. Barmherzigkeit nimmt den Menschen ernst und traut ihm das zu, was er selber kann. Und dann tut auch sie das ihre.

Pater Heribert Arens OFM Geismar Kloster Hülfensberg
Bild: Heribert Arens

Der Franziskaner, Pater Heribert Arens, lebt im Kloster Vierzehnheiligen bei Bad Staffelstein in Oberfranken. Der Autor und Herausgeber mehrerer Bücher, insbesondere zu Predigt und Spiritualität, ist Mitarbeiter bei der Zeitschrift „Der Prediger und Katechet“ und Mitglied im Kuratorium für den „Deutschen Predigtpreis“.

Kirchliche Verantwortung: Dr. Silvia Becker, Katholische Hörfunkbeauftragte und Alfred Herrmann