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Barroso hofft auf Merkel

Bernd Riegert12. Oktober 2005

Er hat es nicht leicht in diesen Tagen. Nach knapp einem Jahr im Amt hagelt es für EU-Kommissionspräsident Barroso von allen Seiten Kritik. Angela Merkels bevorstehende Kanzlerschaft soll den Weg aus der Krise weisen.

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"Hochnäsig, untätig, wirkungslos" sind drei Urteile, die sowohl von EU-Parlamentariern aus Barrosos eigenem konservativen Lager als auch aus einigen Hauptstädten der EU-Staaten zu hören sind. Barroso war angetreten mit einem Programm, das auch im Wahlkampf der CDU/CSU in Deutschland getaugt hätte: Sozial ist, was Arbeit schafft. Oder wie Barroso sagte: Jobs, Jobs, Jobs. Doch das Jobwunder hat sich bislang nicht eingestellt.

Großbritanniens "Ankündigungspremier"

Die Schuld, dass die EU-Kommission mehr oder weniger unsichtbar vor sich hin wurschtelt, trägt aber nicht Barroso alleine. Da gibt es zum Beispiel auch den großspurigen Ankündigungspremier von Großbritannien. Tony Blair hatte mit flammender Rede im Juli grundlegende Reformen der EU angekündigt. Dann ging er auf Tauchstation. Lustlos dümpelt die britische EU-Ratspräsidentschaft vor sich hin. Ein ernsthafter Versuch, die Verfassungs- oder Finanzkrise anzupacken, ist nicht zu erkennen.

Die heißen Kartoffeln werden an die österreichische Ratspräsidentschaft im nächsten Jahr durchgereicht. Ende des Monats ist lediglich ein Nachdenk-Seminar zum europäischen Sozialmodell geplant. Dieses Gipfeltreffen, das normalerweise zwei Tage dauert, haben die Briten kurzerhand auf einen Tag zusammengestrichen. Absprachen zwischen Barroso und Blair über Politik und Strategie finden kaum statt.

Chirac und Barroso giften sich an

Sperrfeuer gegen Barroso kommt beständig aus Paris. Jacques Chirac hat den ehemaligen portugiesischen Premier und USA-Freund zum Lieblingsfeind Nummer eins erklärt. Chirac wirft der Brüsseler Zentrale vor, sie schütze Europas Arbeitsplätze nicht vor dem Ausverkauf. Barroso giftet zurück, Chirac solle nicht all seine innenpolitischen Probleme auf der Schwelle der EU-Kommission abladen. Kein Wunder also, dass Barroso mit überschwänglicher Freude, die ihm die Sozialisten im EU-Parlament heftig übelnehmen, die sich abzeichnende Kanzlerschaft von Angela Merkel in Deutschland feiert. Im letzten halben Jahr war mit Deutschland wegen des Wahlkampfs aus Brüsseler Sicht keine EU-Politik zu machen. Barroso hofft, dass sich das nun ändert.

Enge Zusammenarbeit mit Berlin wäre möglich, so heißt es aus seiner Umgebung, schließlich sind Kommissionspräsident und Kanzlerin Konservative, die keiner übertriebenen Sozialromantik anhängen und auf Liberalisierung setzen. Außerdem hat Angela Merkel 2004 im Hintergrund die Mehrheit der konservativen Regierungschefs bei der Wahl Barrosos zum Kommissionspräsidenten organisiert. Solche Hilfe soll sich jetzt auszahlen.

Entgegenkommen beim Stabilitätspakt?

Barroso weiß sehr wohl, dass die Anführerin der großen Koalition in Berlin Entgegenkommen beim Stabilitätspakt erwartet. Eine Fristverlängerung für die Einhaltung der Verschuldungskriterien bis 2007 muss schon drin sein, auch wenn die Kommission rechtlich gesehen schon 2006 die Daumenschrauben anlegen könnte.

Das Verhältnis mit der neuen Regierung soll aber nicht gleich durch neuen Streit belastet werden. Eine Hand wäscht schließlich die andere und Barroso hofft auf Rückwind aus Berlin, auf den Merkeleffekt in Brüssel. Und der könnte sich noch erhöhen, wenn Frankreichs Staatspräsident nach den nächsten Wahlen abtreten muss. Dann könnten Nicolas Sarkozy und Angela Merkel aus Barrosos Sicht das konservative Traumpaar bilden.