1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Barroso verliert Machtkampf

Bernd Riegert, zurzeit Straßburg27. Oktober 2004

Beim Kräftemessen zwischen EU-Parlament und dem designierten EU-Kommissionspräsidenten José Barroso haben die Parlamentarier gesiegt: Barroso zog seine Vorschläge zur Besetzung der neuen EU-Kommission zurück.

https://p.dw.com/p/5mVw
Gibt sich geschlagen: José BarrosoBild: dpa

Nach Probeabstimmungen in den Fraktionen des Europaparlaments war klar, dass Barroso wahrscheinlich keine Mehrheit für seine Mannschaft bekommen würde. Die Konservativen wollten zwar zustimmen, doch Sozialisten, Grüne, radikale Rechte und Liberale lehnten die Kommission mehrheitlich ab. Barroso erklärte deshalb am Mittwoch (27.10.) im Parlament, er brauche mehr Zeit. Er sei zu dem Schluss gekommen, dass eine Abstimmung über die EU-Kommission zum jetzigen Zeitpunkt "nicht gut wäre für die europäische Situation und das europäische Projekt", sagte Barroso.

Rücktritt Barrosos?

Die großen Fraktionen im Parlament erklärten sich bereit, Barroso bis Mitte November Zeit zu geben - dann ist die nächste Sitzungswoche des Parlaments. Unklar ist aber, ob Barroso dann neue Kommissare präsentieren wird. Möglich ist auch, dass er angesichts der Schlappe vor dem Parlament ganz zurücktritt und ein neuer EU-Kommissionspräsident gefunden werden muss. Abgeordnete hatten das sture Festhalten Barrosos an seinem Team und der Ressort-Verteilung bis zur letzten Minute heftig kritisiert. Das Krisenmanagement habe nicht gestimmt.

Um möglichst schnell neue Kandidaten zu finden, hat die niederländische EU-Ratspräsidentschaft jetzt vorgeschlagen, den Gipfel zur Unterzeichnung der Verfassung am Freitag (29.10.) in Rom gleich zu einem Sondergipfel über die Kommission zu machen. Das aber lehnte eine Mehrheit der ständigen EU-Botschafter ab.

Umstrittene Kandidaten

Rocco Buttiglione EU Parlament
Unbeirrbar in seinem Wunsch, Kommissar zu werden: Rocco ButtiglioneBild: AP

Die nationalen Regierungen benennen die Kandidaten für die 25-köpfige Kommission. Der am meisten umstrittene italienische Kommissar in spe für Justiz und Inneres, Rocco Buttglione, war nicht bereit, von sich aus zurückzuziehen. Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi soll ihn in einem Telefongespräch in letzter Minute aufgefordert haben, selbst zurückzutreten. Buttiglione habe darauf erwidert, er mache keinen Schritt zurück, wurde berichtet.

Nach seiner Anhörung hatte ein Parlamentsausschuss Buttiglione wegen seiner Äußerungen über "homosexuelle Sünder" und die zu bevorzugende Mutterrolle der Frauen abgelehnt. Auch vier weitere Kommissarsanwärter waren von EU-Parlamentariern wegen angeblicher Inkompetenz heftig angegriffen worden: die Niederländerin Neelie Kroes, die Dänin Mariann Fischer Boel, die Lettin Ingrida Udre und der Ungar Laszlo Kovacs.

Parlament als Sieger

Die alte EU-Kommission unter Präsident Romano Prodi bleibt bis auf weiteres im Amt. Sollte Barroso neue Personen für die Posten der Kommission vorschlagen, müssten auch neue Anhörungen vor dem Parlament stattfinden, was einige Wochen dauern würde. Kommende Woche findet der reguläre Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs statt. Auch da bietet sich Gelegenheit, so EU-Diplomaten, einen Ausweg aus der verfahrenen Situation zu finden.

Es ist das erste Mal, dass das Parlament seine Befugnisse in Personalfragen so ausspielt. Viele Parlamentarier sehen ihre Institution als Gewinner, während José Barroso, der ehemalige portugiesische Ministerpräsident, in ihren Augen geschwächt aus dem Machtkampf hervorgeht.