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Politik

Barsani-Rücktritt facht Kurdenkonflikte an

30. Oktober 2017

Der nordirakische Kurdenpräsident Barsani hat seinen Rücktritt erklärt. In seiner Abschiedsrede erhob er schwere Vorwürfe gegen politische Rivalen in seiner Volksgruppe und die irakische Zentralregierung.

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Irak Kurden-Führer Massud Barsani
Bild: picture-alliance/dpa/O. Weiken

Nach dem Rückschlag im Kampf um einen unabhängigen Kurdenstaat hat der Präsident der autonomen Kurdenregion im Nordirak, Massud Barsani, seinen Rückzug angekündigt. "Ich habe unter keinen Bedingungen akzeptiert, mein Mandat zu verlängern", sagte er in einer Ansprache im Fernsehen. Barsani wird nach Ablauf seines Mandats am 1. November nach mehr als zwölf Jahren vom höchsten Posten der Autonomieregion im Nordirak abtreten. Er selbst werde Kurdistan als Peschmerga-Kämpfer erhalten bleiben, versicherte der 71-Jährige. Über seine Absicht hatte er zuvor die Abgeordneten des Regionalparlaments in Erbil in einem Brief informiert.

Barsani hatte sich mit dem Unabhängigkeitsreferendum der irakischen Kurden am 25. September verkalkuliert. Zwar stimmte eine überwältigende Mehrheit von mehr als 92 Prozent für eine Abspaltung der Kurdengebiete vom Irak. Die Zentralregierung in Bagdad, die das Votum ablehnt und eine Annullierung seines Ergebnisses fordert, griff in der Folge aber mit harter Hand gegen die Kurden durch. Die irakische Armee und verbündete Schiitenmilizen rückten in Gebiete vor, die die Kurden vor rund drei Jahren im Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" eingenommen hatten. Dabei handelt es sich um Regionen, die auch die Zentralregierung beansprucht, darunter die ölreiche Provinz Kirkuk. Die kurdischen Peschmerga-Kämpfer zogen sich aus vielen Gebieten kampflos zurück. Es gab bis zuletzt aber stellenweise immer wieder Gefechte. Als zusätzliche Strafmaßnahme ließ Bagdad internationale Flüge nach Kurdistan verbieten.

Barsani spricht von "Hochverrat"

Barsani sprach in diesem Zusammenhang im Fernsehen von "Hochverrat". Damit wandte er sich offenbar gegen die Kurdenpartei "Patriotische Union Kurdistans" (PUK), deren Soldaten sich kampflos aus der Region Kirkuk mit ihren großen Ölfeldern zurückgezogen hatten. Am Sonntag überließen die Kurden der irakischen Armee die Kontrolle über den strategisch wichtigen Grenzübergang Fischchabur, durch den eine wichtige Öl-Pipeline in die Türkei verläuft. Insbesondere der Verlust der Ölförderregion um Kirkuk ist ein schwerer Schlag für die Kurden.

In seiner Fernseh-Ansprache warf Barsani zudem der Zentralregierung in Bagdad vor, das Referendum als Vorwand für eine länger geplante Kampagne gegen die Kurden benutzt zu haben. "Wenn es Bagdads Plan ist, die Region Kurdistan auszulöschen, werden wir das nicht erlauben", sagte er. Tausende Kurden seien darauf vorbereitet, sich und ihre "Nation" zu verteidigen. Die USA kritisierte er scharf für ihr Schweigen, während irakische Truppen die Kurden mit amerikanischen Waffen angegriffen hätten.

Der Rückzug Barsanis könnte den Konflikt mit Bagdad entspannen, da sein Verhältnis zur Zentralregierung von Ministerpräsident Haidar al-Abadi schwer gestört ist. Bereits am Samstag hatten sich Delegationen aus Bagdad und Erbil getroffen, um Streitpunkte durch Verhandlungen auszuräumen. So will die irakische Armee die Kontrolle über die Außengrenzen auch im Norden des Landes übernehmen.

Innerkurdische Spannungen

Der Peschmerga-Rückzug hat die ohnehin bestehenden Spannungen zwischen den großen Kurdenparteien PUK und DPK weiter verschärft. Viele Kurden geben Barsani eine Mitschuld. Wegen des Streits wurden bereits die für den 1. November angesetzten Wahlen in der Autonomieregion verschoben. Forderungen nach einem Rücktritt Barsanis waren in den vergangenen Tagen immer lauter geworden.

"Kurdistan" ist reich an Bodenschätzen

Das Parlament in Erbil debattierte am Sonntag nach Barsanis Rücktrittserklärung um die vorläufige Aufteilung der verschiedenen Machtbereiche bis zur Präsidentenwahl. Barsanis Mandat als Präsident endete eigentlich bereits 2013. Das Parlament hatte es zwei Mal verlängert. Während der Parlamentssitzung versammelten sich Menschen mit Knüppeln und Steinen vor der Volksvertretung. Sie schlugen dort wartende Journalisten, wie mehrere Medien und Parlamentarier berichteten. Sicherheitskräfte feuerten Warnschüsse in die Luft, um die Menge auseinanderzutreiben.

Goran-Kandidat tritt zur Wahl an

Die Opposition lehnt die von Barsanis Demokratischer Partei Kurdistans (DPK) und der PUK vorgeschlagene vorläufige Machtaufteilung zwischen Regionalregierung, Parlament und Justiz ab. Zur Opposition gehört unter anderem die Goran-Partei, die sich für Barsanis Rücktritt einsetzte und eine "Regierung des nationalen Heils" fordert. Der Goran-Abgeordnete Rabun Maarouf sagte vor der Parlamentssitzung, Barsani symbolisiere das "Scheitern der kurdischen Politik". Das Einzige, was ihm bleibe, sei "öffentlich um Verzeihung zu bitten". Bei der Präsidentschaftswahl tritt als einziger Bewerber der Goran-Politiker Mohammed Tofik Rahim an. Der 64-jährige ehemalige Peschmerga-Kämpfer war in der ersten Regierung nach dem Sturz des irakischen Machthabers Saddam Hussein 2003 Industrieminister.

kle/jj (afp, dpa, rtr)