1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Bayer bringt Chemie an die Börse

Thomas Kohlmann17. November 2003

Seit Jahren spekulieren Anleger auf einen Konzernumbau. Jetzt hat der Aspirin-Produzent die Abspaltung der Chemiesparte bestätigt. Der Kurs steigt prompt - die Stimmung bleibt aber gedämpft.

https://p.dw.com/p/4Ib4
Entwicklung verschlafen: Bayer-Chef Wenning und Vorgänger SchneiderBild: AP

Seit Freitagnachmittag ist es amtlich: Der Bayer-Aufsichtsrat hat die Umbaupläne von Konzernchef Werner Wenning abgesegnet und gab grünes Licht für den Rückzug des Mischkonzerns aus dem Chemiegeschäft. Bis 2005 soll der Chemie-Bereich an die Börse gebracht werden. Bayer will sich in Zukunft auf die Kerngeschäfte Gesundheit, Ernährung und hochwertige Materialien konzentrieren. Insgesamt werden damit rund 20 Prozent der jetzigen Bayer AG ausgegliedert – Projektname für die neue Gesellschaft aus Bayer Chemicals und Einzelbereichen des Kunststoffbereichs ist "NewCo".

Kurs steigt - Stimmung gedämpft

Die Börse feierte die Nachricht und hievte die Bayer-Aktie zeitweise um acht Prozent ins Plus. Pharma- Analysten werten den Schritt zwar als richtig – ihre Euphorie hält sich aber stark in Grenzen. "Die kommen einfach zehn Jahre zu spät", bringt es Alexander Groschke von der Landesbank Rheinland Pfalz auf den Punkt. "Damals hatte Bayer als weltweit führender Pharma-Konzern noch gute Karten, einen starken Partner zu finden", meint auch Ludger Mues, Chef-Analyst für Life Science bei Sal. Oppenheim.

Das ist mittlerweile Schnee von gestern. Aktuell rangiert das Pharmageschäft der Leverkusener weltweit nur noch auf Platz 16. Bayer-Pharma wurde sogar von Boehringer Ingelheim als größter deutscher Arzneimittelhersteller überholt. In der Branche wird gemunkelt, dass selbst das Familienunternehmen aus Ingelheim die verzweifelten Bayer-Manager bei ihrer Suche nach einem Pharma-Partner abblitzen ließ.

Entwicklung verschlafen

Dass die Leverkusener zu spät kommen, unterschreibt jeder Branchenkenner. Vorreiter waren Mitte der 90er Jahre die Schweizer Konzerne Sandoz und Ciba-Geigy. Unter dem Phantasienamen Novartis verschmolzen 1996 die beiden Giganten aus Basel ihre Pharmabereiche und gliederten Chemie- und Agro-Sparten in verschiedene Firmen aus, die sie danach an die Börse brachten. Hoechst und Rhone-Poulenc folgten kurz darauf und schlossen sich zum deutsch-französischen Pharma-Konzern Aventis zusammen. Auch hier trennte sich das neue Unternehmen von allen anderen Aktivitäten. Der damalige Hoechst-Vorstandschef Jürgen Dormann war nur am rentablen Pharma-Geschäft interessiert.

Im Unterschied zu Novartis und Aventis steckt Bayer-Pharma aber in der Krise. Nicht erst seit dem Lipobay-Skandal sind die Margen auf Talfahrt. Die Produkt-Pipeline gleicht einem schwarzen Loch. "Außer von dem Viagra-Konkurrenzmittel Levitra ist da zur Zeit nicht viel zu erwarten", meint dazu Analyst Groschke. "Um die Rentabilität auf Vordermann zu bringen, muss da sehr viel passieren", pflichtet ihm sein Kollege Mues bei.

Deutsches Problem

Die Probleme für die deutschen Arzneimittelhersteller, auf dem globalen Markt mitzuhalten, sind gewaltig. Zu lange haben die großen Akteure eine Fusion herausgezögert. Besonders der frühere Bayer-Chef Manfred Scheider hatte bis zuletzt auf einer Pharma-Fusion nach seinen Spielregeln bestanden: "Die Mehrheit und das Sagen behält Bayer. Und die neue Veranstaltung findet selbstverständlich unter dem Bayer-Kreuz statt. Das war Schneiders Strategie", meint Alexander Groschke. "Die saßen in Leverkusen viel zu lange auf dem hohen Ross – und jetzt ist der Zug ohne sie abgefahren."

Das bestätigt auch Dieter Heuskel, Deutschland-Chef der Unternehmensberatung Boston Consulting Group in einem Interview mit der Wirtschaftswoche: "Es gibt in Deutschland noch einige - im Weltmaßstab gesehen - mittelgroße Unternehmen wie Schering, Altana, Merck, Boehringer Ingelheim oder den Pharmabereich von Bayer. Wenn es hier zu einer regionalen Konsolidierung käme, könnte durchaus noch einmal ein Spieler entstehen, der im großen Konzert mitwirkt. Ansonsten bleibt ihnen nur, sich auf Nischenmärkte zu konzentrieren. Dann wird Deutschland als Pharmastandort weiter verlieren."