1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Fünf Jahre Erweiterung

30. April 2009

Fünf Jahre nach dem Beitritt Polens zur Europäischen Union spricht der ehemalige Außenminster Wladyslaw Bartoszewski im Interview mit DW-WORLD.DE über die Rolle des Landes in der Gemeinschaft.

https://p.dw.com/p/Hh2r
Wladyslaw Bartoszewski, der "Brückenbauer"Bild: AP

DW-WORLD.DE: Am 1. Mai 2004, also vor fünf Jahren, trat Polen der EU bei. Was haben Sie an diesem Tag gedacht, welche Bilder hatten Sie vor Augen?

Wladyslaw Bartoszewski: Ich muss gestehen, ich hatte vor allem meine eigenen und die Bestrebungen Gleichgesinnter vor Augen. Es ist ein erfüllter Traum von der Rückkehr in die europäische Familie. Die Erweiterung sollte als Abschluss einer gewissen Phase betrachtet werden. Das heißt aber nicht, dass man sich auf diesen Lorbeeren ausruhen konnte. So naiv war ich nicht: Die Erweiterung war ja auch ein Neubeginn und eine neue Verantwortung. Und so sehe ich sie auch noch nach fünf Jahren.

Sind Sie über die Erweiterung glücklich?

Ich weiß nicht, ob man in diesem Zusammenhang von uneingeschränktem Glück sprechen kann und ob Glück überhaupt das richtige Wort in der Politik ist. Es gibt Versäumnisse, die es nicht geben müsste, und das ist nicht die Schuld eines Staates oder einer Gesellschaft. Als Zeitzeuge von Diktaturen - denn ich gehöre zu dieser Generation der Deutschen und der Polen, der Europäer, die noch bewusst die Zeit der Diktaturen erlebt hat - kann ich aber doch sagen: Ich bin glücklich. Erstmals in meinem Leben hat meine Heimat, hat mein Land, die reale Chance auf Frieden, auf stabile Demokratie, auf relativen Wohlstand und eine gemeinsame Grenze mit einer deutschen Demokratie. Warum sollte ich unglücklich sein?

Wladyslaw Bartoszewski und Rita Süssmuth im Bundestag 1995
Bartoszewski bedankt sich 1995 bei Bundestags-Präsidentin Rita Süssmuth. Er sprach als erster polnischer Politiker vor einem deutschen ParlamentBild: picture-alliance/ dpa

Ich war 1990 bei der Wiedervereinigung Deutschlands glücklich. Ich wollte einen vereinigten, stabilen demokratischen Partner an der westlichen Grenze meines Landes. Ich wollte einen glaubwürdigen Partner. Und ich habe an die deutsche Bereitschaft geglaubt, mit uns zusammen die Verantwortung zu tragen - im Rahmen der Zugehörigkeit zum Nordatlantikpakt und später auch der Zugehörigkeit zu derselben großen und komplizierten Familie, nämlich zur Europäischen Union.

Ich habe 1995 mit meinem deutschen Berufskollegen, dem damaligen Außenminister Klaus Kinkel, gesprochen, als Polen weder in der NATO noch in der Union war. Und Kinkel hat mir damals in Bonn geraten - heute kann ich das Geheimnis lüften - ich solle mich mehr um einen Beitritt zur Union als um einen Beitritt zur NATO bemühen. Der schnelle Beitritt zur NATO sei hoffnungslos. Dann habe ich meinem lieben deutschen Kollegen, den ich mochte, gesagt: ‚Lieber Herr Kinkel, eine polnisch-amerikanische Tradition ist eine andere als eine deutsch-amerikanische. Die Polen werden sich schon in die NATO einfinden.' Und so war es auch.

Polen wird von vielen Europäern gerne als Außenseiter betrachtet, als widerspenstiger Partner innerhalb der EU, denn Polen sträube sich, die EU-Spielregeln anzuerkennen. Ist dieser Vorwurf gerechtfertigt?

Wladyslaw Bartoszewski und Gesine Schwan Foto v. 20.06.08 in Frankfurt Oder an der Viadrina Universität bei der Verleihung Europäischer Preise der Europäischischen Kulturstiftung Foto: Barbara Cöllen
Für die europäische Sache: Bartoszewski und Gesine Schwan 2008 bei einer Preisverleihung der Europäischen KulturstiftungBild: Barbara Cöllen/DW

Es handelt sich oft um fehlendes Verständnis von Seiten mancher europäischer Partner. Ein Land sieht die eigene Rolle in der Union als die eines aktiven Teilnehmers am Entscheidungsprozess, nicht bloß als passiver Beobachter. Aber wenn man aktiv teilnimmt, wenn man diskutiert und eigene Vorschläge macht, kann man auch als widerspenstig angesehen werden. Ich glaube, die Polen sind nicht widerspenstiger als die Iren, die Franzosen, die Griechen - aber auch nicht weniger widerspenstig. Die Polen sind zum Beispiel der Meinung, es gebe - politisch gesehen - große Schwierigkeiten im Zusammenleben mit den Griechen oder mit den Italienern. Aber gleichzeitig mögen sie die Griechen und die Italiener als Menschen.

Wird der Lissabon-Vertrag irgendwann einmal in Kraft treten?

Ich habe viel Vertrauen in die Erfahrung der Politik, und ich bin der Meinung, man muss Hoffnung haben und zu der Lösung beitragen . Denn wenn wir schon ununterbrochen die NATO reformieren, wenn wir die Union noch weiter reformieren wollen und müssen, wenn wir Probleme mit den Vorstellungen zur Erweiterung der Union diskutieren, dann muss man sich Gedanken machen. Die Politik ist viel komplizierter mit über 25 Staaten als mit zwölf.

Polen in der EU: Was ist Ihre persönliche Bilanz?

Ich bin bedingt glücklich, aber nicht enttäuscht. Ich bin fest überzeugt, dass Polen in fünf Jahren in der EU eine harmonische, angemessene Rolle spielen wird: die Rolle eines mittleren Staates mit ungefähr 38 Millionen Bürgern in der Mitte der Landkarte Europas. Wir sind ein Grenzstaat des Schengener Abkommens. Wir sind der Grenzstaat zur Ukraine, zu Weißrussland. Polen wird die Rolle des Nachbarstaates der neuen Staaten spielen, die sich um den Beitritt bemühen werden. Polen wird eine stabile Demokratie in der Union und ein zuverlässiger Partner Amerikas, Kanadas und Westeuropas im Nordatlantikpakt sein.


Das Interview führte Justyna Bronska.
Redaktion: Sandra Voglreiter

Hören Sie das Interview in voller Länge (Link am Seitenende).




Wladyslaw Bartoszewski wurde am 19.02.1922 in Warschau geboren. Er gehörte zu den Mitbegründern der Polnischen Hilfsorganisation für Juden und nahm 1944 am Warschauer Aufstand teil. Bartoszewski machte sich einen Namen als Fürsprecher für Versöhnung und europäische Integration. Als Außenminster Polens trieb er mit Überzeugung den Beitritt seines Landes zur EU voran.