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Christen in der islamischen Welt

Bettina Marx18. April 2012

Im Orient entstand das Christentum. Heute sind die Christen in der islamischen Welt marginalisiert und von Verfolgung bedroht. Eine Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin beschäftigte sich mit dem Thema.

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Symbolbild Christen und Muslime im Orient: Ein Ägypter hält in einer Menschenmenge ein Kreuz hoch, ein anderer einen Koran. Foto: UPI
Bild: picture-alliance/landov

Sie werden im besten Fall geduldet, meistens jedoch diskriminiert und im schlimmsten Fall sogar verfolgt, die Christen in der islamischen Welt. Vor allem in den arabischen Ländern schrumpft ihre Zahl mit besorgniserregender Geschwindigkeit.

Beispiel Irak: Vor dem Einmarsch der amerikanischen Truppen 2003 lebten noch 1,5 Millionen Christen im Irak. Heute sind es noch geschätzte 400.000.

Beispiel Palästina: Im Ursprungsland des Christentums gibt es nach Schätzungen noch 49.000 Christen, rund 1,2 Prozent der Bevölkerung. Etwa die Hälfte von ihnen leben im Distrikt Bethlehem. In der Geburtsstadt Jesu selbst gibt es nur noch rund 6.500 Christen.

Zwischen Bürgerkrieg und Hisbollah

Auch im Libanon, in dem die Christen vor einem Jahrhundert noch die Mehrheit darstellten, sind sie heute, bedingt durch Abwanderung und die hohe Geburtenrate der Muslime, in der Minderheit. Nur noch zwischen 30 und 35 Prozent der Bevölkerung sind Christen.

Dies habe in erster Linie mit der wirtschaftlichen und politischen Lage seit dem Ende des Bürgerkriegs zu tun, so der Historiker Abdel Raouf Sinno aus Beirut bei einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. Durch das Abkommen von Taif, mit dem der Bürgerkrieg im Jahr 1989 beendet wurde, seien den Christen viele Privilegien entzogen worden. Die Entstehung der Hisbollah, die seit 2006 das politische Leben im Libanon präge, habe bei den Christen im Libanon Ängste vor einem erstarkenden schiitischen Fundamentalismus ausgelöst.

Prof. Abdel Raoud Sinno bei einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin am 17.4.2012 zum Thema: Christen in der islamischen Welt - Geduldet-diskriminiert-verfolgt. Foto: DW
Prof. Abdel Raouf Sinno aus Beirut macht sich Sorgen um die Christen in seiner HeimatBild: DW

"Viele Christen und auch Sunniten fühlen sich von der extremen Ideologie der Hisbollah bedroht", so Sinno. Die "Partei Gottes" sähe in Ajatollah Ali Khamenei, dem Oberhaupt der islamischen Republik Iran, den religiösen und politischen Führer der islamischen Welt.

Gefahr drohe aber nicht nur von der schiitischen Bevölkerungsmehrheit des Libanon. Auch die Eskalation im Nachbarland Syrien beunruhige die christliche Gemeinschaft, erläutert Sinno. "Nach der Ausdehnung der syrischen Revolution fürchten Christen, dass der Libanon in ein islamisches Staatsgebilde umgewandelt wird. Sie befürchten eine Koalition zwischen syrischen und libanesischen Sunniten, die eine weitere Marginalisierung der christlichen Präsenz bedeuten würde."

Kein Arabischer Frühling für Christen

Nicht nur im Libanon, auch in den Staaten des arabischen Frühlings denken viele Christen inzwischen über Auswanderung nach. Denn vor dem Hintergrund wachsender Islamisierung sehen sie für sich keine Zukunft mehr in den Ländern, in denen sie nach eigenem Verständnis sozusagen die Ureinwohner darstellen. Die Hoffnungen auf eine pluralistische Gesellschaft mit weitreichenden Freiheitsrechten, die die Demonstrationen vor einem Jahr begleiteten, sind inzwischen zerstoben, sagt Anba Damian, Generalbischof der Kopten in Deutschland. Die koptische Kirche ist die größte christliche Gemeinschaft in Ägypten. Seit der Revolution häufen sich die Übergriffe gegen sie. Doch auch zuvor waren sie nur geduldet. "In der Zeit von Mubarak haben wir keinen Schutz durch das Gesetz erfahren dürfen", erinnert sich Damian. "Aber durch die Gnade des Präsidenten bekamen wir einen Teil unserer Rechte. Heute aber ist kein Gesprächspartner mehr da und auch keine Gnade." Im Gegenteil: viele Kopten fühlten sich in ihrem Heimatland schutzlos.

Der kotpische Generalbischof Anba Damian gestikuliert bei einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin am 17.4.2012 zum Thema: Christen in der islamischen Welt - Geduldet-diskriminiert-verfolgt. Foto: Bettina Marx/DW
Bischof Anba Damian wünscht sich für seine Heimat Freiheit und Toleranz.Bild: DW

Koptische Mädchen und Frauen, die ohne Kopftuch herumliefen, sähen sich zunehmend Belästigungen ausgesetzt. Kirchen würden angezündet und Christen bedroht. Bischof Damian hofft, dass die Toleranz, die er in Deutschland erlebe, auch in den islamischen Ländern Nachahmung findet. So könnten zum Beispiel in deutschen Städten sogenannte Salafisten ungehindert den Koran an Passanten verteilen. Für Christen in der arabischen Welt gälten solche Freiheiten nicht.

Gemeinden vor dem Ende

Mit Bedauern und mit Sorge beobachtet Professor Martin Tamcke von der Universität Göttingen die Entwicklung der christlichen Gemeinden in den islamischen Ländern. Er ist Experte für die Kirchen des Orients. "Einst war hier das Zentrum der christlichen Welt", sagt er. In dieser Welt seien die grundlegenden Glaubenslehren des Christentums definiert worden, das die europäische Kultur präge. Doch inzwischen stünden viele Gemeinden vor ihrem Ende. Christliche Präsidenten oder Ministerpräsidenten, wie es sie noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Nahen und Mittleren Osten gegeben habe, seien wohl auf absehbare Zeit unvorstellbar.

Prof. Martin Tamcke spricht bei einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin am 17.4.2012 zum Thema: Christen in der islamischen Welt - Geduldet-diskriminiert-verfolgt. Prof. Dr. Martin Tamcke, Universität Göttingen Foto: Bettina Marx/DW
Prof. Martin Tamcke: "Die Christen sind nicht Gäste, sie sind die Hausherren im Orient."Bild: DW