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Bei Anruf "Delhi"

Peter Wozny25. Oktober 2003

Wer ahnt schon, dass die freundliche Stimme an der Hotline des örtlichen Stromversorgers auf der anderen Seite des Planeten sitzt? Immer mehr US-Unternehmen sparen Kosten, indem sie ihre Call-Center nach Indien verlegen.

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Die wahre Identität bleibt für die Anrufer unerkanntBild: AP


Wenn es dunkel wird in Neu Delhi, wird aus der Inderin Veena Ilomit die Amerikanerin Diana Snider. Dann setzt sie ihr Headset auf und beantwortet Anrufern aus Michigan, Detroit oder New York Fragen zu ihrer Stromrechnung, zu ihrer Mikrowelle oder zu ihrer Krankenversicherung. Stilsicher und im perfektem Englisch.

Veena arbeitet im Call-Center eines großen US-Konzerns. Dass sie Indien noch nie verlassen hat, ist dabei kein Hindernis. Denn für die Amerikaner sind Inder und Inderinnen wie Veena in ihrer Heimat billige Arbeitskräfte. Sie und ihre 250 Kollegen in Neu Delhi kosten dem Unternehmen gerade einmal ein Viertel von dem, was ebenso viele Amerikaner in Boston verdienen würden.

Hunderttausende Arbeitsplätze

Internet und Satellitentechnik haben darüber hinaus die Long-Distance-Verbindungen so billig und sicher gemacht, dass es sich rentiert, die Hotline nach Indien zu schalten. Viele US-Unternehmen und mittlerweile auch europäische Firmen haben das erkannt und ihre Telefonzentralen in das Billiglohnland verlegt. Hunderttausende von Arbeitsplätzen sind dort entstanden.

Veena arbeitet schon seit drei Jahren an der Hotline und ist damit eine der erfahrensten Telefonberaterinnen ihres Arbeitgebers. Wenn ein Kunde die Hotline des Unternehmens anruft, weil seine Kreditkarte nicht funktioniert oder sein Backofen die Pizza verbrennt, weiß er nicht, dass die freundliche Dame mit dem offenen Ohr auf der anderen Seite des Planeten sitzt.

Dafür hat Veena lange trainiert. Vor allem ihr Englisch. "Ich trainiere täglich bis zu vier Stunden, um Global-Englisch zu sprechen, das keinen Hinweis auf meine Herkunft gibt", so Veena. "Unser Sprachtrainer versucht uns vor allem beizubringen, den typischen indischen Sprechrhythmus abzulegen, weil der im englischen sehr abgehackt klingt."

Firmen fürchten ums Image

Auf ihre Anrufer soll Veena so wirken, als sitze sie nur ein paar Häuser weiter. Hinweise auf ihren tatsächlichen Arbeitsort können zur Kündigung führen. Daher meldet sie sich auch als "Diana Snyder". Die Arbeitgeber fürchten das Mißtrauen der Kunden gegenüber den Indern. Veena: "Schließlich haben wir keine eigenen Erfahrungen mit ihren Produkten. Außerdem ist es nicht gut für das Image der Firma, wenn bekannt wird, dass die Arbeitsplätze, die in den USA abgebaut wurden, jetzt hier in Indien liegen."

Anti-Stress-Programm

Neben dem Sprachtraining absolviert sie mehrmals pro Woche ein Anti-Stress-Programm, Veena: "Die Leute, die uns anrufen, wollen sich in den meisten Fällen beschweren und es kommt nicht selten vor, dass man rüde beschimpft wird. Wir müssen immer freundlich und zurückhaltend bleiben. Zwölf Stunden am Stück, so lange dauert unsere Schicht.“ Und diese Schicht ist meistens Nachts - aufgrund der Zeitverschiebung. Veena hat sich daran gewöhnt. Dafür ist sie versichert und für indische Verhältnisse überdurchschnittlich gut bezahlt.

Abenteurer für europäische Hotlines gesucht

Bisher gab es nur englischsprachige Call-Center in Indien, da die meisten Inder zwar Englisch sprechen, jedoch kaum einer eine andere westliche Sprache beherrscht. Der britische Reiseveranstalter "ebookers" möchte nun aber auch andere Sprachen in Indien etablieren und versetzt dafür sogar europäische Mitarbeiter, "die das Abenteuer suchen", nach Indien.

Die europäischen Abenteurer arbeiten für den gleichen Lohn, wie die indischen Telefonisten, nur die Unterkunft wird ihnen zusätzlich gestellt. Dafür beraten sie nun auch auf Finnisch, Dänisch oder Deutsch. Veena sieht in den neuen Call-Centern eine Chance: "Ich habe mich jetzt zum Deutschkurs am Goethe-Institut angemeldet."