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Interview mit Grafite

5. Juni 2010

Grafite war Torschützenkönig der Bundesliga und holte 2009 mit dem VfL Wolfsburg unter Trainer Magath sensationell die Deutsche Meisterschaft. Jetzt will er mit Brasilien Weltmeister werden, so Grafite im DW-Interview.

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Grafite, WM-Experte der Deutschen Welle
Bild: DW/Roselaine Wandscheer

DW-World: Grafite, wem drücken Sie bei der Weltmeisterschaft in Südafrika die Daumen?

Grafite: Ich bin für Brasilien. Ich glaube, dass Brasilien Weltmeister wird. Spanien spielt allerdings momentan auch sehr gut, es ist eine sehr starke Mannschaft.

Wie stehen die Chancen für Deutschland? Und können Sie etwas über die Gruppengegner Ghana, Australien und Serbien sagen?

Grafite im Trikot der brasilianischen Nationalmannschaft (Foto: dpa)
Grafite will Weltmeister werdenBild: picture-alliance/augenklick/firo Sportphoto

Deutschland hat eine große WM-Tradition. Die Deutschen sind immer sehr stark, wenn sie zur WM kommen. Serbien hat sich in einer starken Gruppe qualifiziert und könnte in der ersten WM-Phase für eine Überraschung sorgen. Aber nicht immer schlägt sich die beste Mannschaft aus der Qualifikationsrunde auch gut in der WM. Australien war schon bei den letzten Weltmeisterschaften dabei. Aber ich glaube, dieses Team wird weder Deutschland noch Serbien viel Arbeit machen. Deutschland und Serbien sind in dieser Gruppe die Favoriten. Ghana ist relativ unbekannt, könnte aber für eine Überraschung sorgen. Gut möglich, dass dieses Jahr eine afrikanische Mannschaft für eine WM-Überraschung sorgt, weil die afrikanischen Teams praktisch zuhause spielen, vielleicht sogar Ghana oder die Elfenbeinküste.

Was ist die Stärke der deutschen Mannschaft? Was ist ihr Geheimnis, das sie aus dem Hut zaubern, wenn sie es brauchen?

Die deutschen Spieler sind sehr diszipliniert, was die Taktik angeht. Diese Disziplin und das Zusammenspiel der deutschen Mannschaft könnten für den Unterschied sorgen.

"An der deutschen Abwehr ist schwer vorbeizukommen"

Der Wolfsburger Grafite schießt gegen Bayern München ein Tor mit der Hacke am 4. April 2009. (Foto: AP)
Grafite verzaubert die Bundesliga mit seinen TorenBild: AP

Gibt es Probleme in der Abwehr oder im Sturm?

Es ist alles eine Frage von Teamwork. Die deutsche Mannschaft hat viele gute Abwehrspieler wie Mertesacker, Friedrich und Lahm. Es ist schwer an ihnen vorbeizukommen, um ein Tor zu schießen. Und sie haben sehr gute Torhüter. Im Angriff sind Cacau und Gomez sehr gute Spieler. Aufgrund der Qualität aller Spieler und durch den Zusammenhalt der Mannschaft kann es für Deutschland eine gute WM werden.

Was macht den spanischen Fußball so interessant? Ist es die Geschwindigkeit, die Technik, die gute Form?

Ich denke, es ist eine Mischung aus allem. Sie haben gute Spieler. Das spanische Team ist in allen Bereichen stark, denn es spielt schon seit Jahren zusammen. Sie sind Europameister, sie sind auf dem ersten Platz des FIFA-Rankings, also haben sie alles, um einen gute WM zu spielen. Ich glaube, die meisten tippen auf ein Finale zwischen Brasilien und Spanien. Aber Brasilien wird Weltmeister!

Es heißt, die Afrikaner hätten gute Angreifer, aber in der Verteidigung und besonders im Tor hätten sie Probleme. Was denken Sie darüber?

Diese Ansicht hängt damit zusammen, dass die besten afrikanischen Spieler Angreifer sind. Man hört nichts von afrikanischen Spielern, die sich in der Verteidigung oder im Tor hervortun, eher im Mittelfeld und im Angriff wie zum Beispiel Drogba aus der Elfenbeinküste und Eto'o aus Kamerun. Aber das Zusammenspiel der Teams ist gut. Die Tatsache, dass eine Mannschaft an der WM teilnimmt, bedeutet, dass sie Qualität hat. Heutzutage macht ein einzelner Spieler keinen Unterschied. Es gibt wohl bei einigen Mannschaften ein paar Probleme in der Verteidigung und im Tor, aber der Angriff gleicht diese Schwächen oftmals aus.

Warum sind die europäischen Trainer so gut angesehen? Liegt es an der Disziplin?

Es liegt an der Disziplin und ihren Arbeitsmethoden. Einige der besten afrikanischen Nationalmannschaften haben einen europäischen Trainer. Das internationale Zentrum des Fußballs ist hier in Europa. Ich denke, der europäische Fußball ist der beste auf der Welt. Der lateinamerikanische Fußball hat zwar viele Talente, aber der europäische Fußball hat am meisten Power.

Späte Karriere

Wann und wie hat Ihre Fußballkarriere begonnen?

Wolfsburgs Grafite jubelt mit der Torjäger-Kanone 2009. (Foto: dpa)
Grafite holte in der Saison 2008/2009 die Torjägerkanone der Bundesliga mit 28 TreffernBild: picture alliance / dpa

Ich habe spät mit dem Profifußball begonnen, mit 21 Jahren. Ich hatte schon fast aufgegeben, weil ich Tests bei verschiedenen Vereinen ohne Erfolg absolviert hatte, bei Paulista de Jundiaí, bei Juventus de São Paulo und Guarani. Im Jahr 2000 wurde in meiner Stadt ein Profiteam gegründet, Campo Limpo Paulista, und ich bin hin, um den Test zu machen und habe bestanden. Und seitdem ging es mit meiner Karriere immer nur bergauf, Gott sei Dank. Nachdem ich Profi geworden war, hatte ich bei allen Vereinen, für die ich gespielt habe, Erfolg. Nur bei ein oder zwei konnte ich nicht so gute Leistung bringen, aber ich wurde immer gut empfangen und habe offene Türen hinterlassen. Ich war nie in einem Nachwuchsteam. Manchmal sage ich: Wenn ich von Grund auf, schon als Jugendlicher bei einem Verein angefangen hätte, wäre ich vielleicht nicht bis dahin gekommen, wo ich heute bin. Dass ich spät in den Profifußball eingestiegen bin, war für mich bei Vielem hilfreich. Ich habe ein paar Schwierigkeiten, weil ich gewisse Grundlagen nicht mitbekommen habe, aber im Laufe der Jahre habe ich mich immer verbessert und ich perfektioniere weiterhin bestimmte Grundlagen wie Torschüsse und Kopfbälle. Soweit ich weiß, bin ich ein seltener Fall im Fußballgeschäft.

Gab es in Ihrer Familie jemanden, der Fußball spielte oder Trainer war?

Nein, in meiner Familie gab es niemanden, der professionell mit Fußball zu tun hatte. Ich bin der erste. Mein Vater hat Fußball gespielt, aber nur in Amateurclubs, meine Brüder haben auch gespielt, aber ich bin der einzige, der es beruflich macht.

War es Ihre Traumkarriere?

Ja. Mit 20 habe ich darüber nachgedacht, was bloß aus mir werden soll. Ich habe Müllsäcke verkauft, um zum Lebensunterhalt meiner Familie beizutragen. Damals hatte ich schon eine zweijährige Tochter. Ich musste arbeiten, und die Arbeit nahm schon mehr Zeit ein als der Fußball. Aber vor zehn Jahren ergab sich dann die Gelegenheit und ich sagte mir: Das wird die letzte Gelegenheit meines Lebens sein, ich versuche es!

Was raten Sie jungen Fußballspielern in Brasilien und Deutschland? Was muss man tun, um soweit zu kommen wie Sie?

An seinen Traum glauben. Man muss daran glauben, dass alles möglich ist, dass es zwar viele Schwierigkeiten und Hürden geben wird, aber man darf nicht gleich bei der ersten Hürde aufgeben. Etwas zu lernen ist für die Zukunft auch sehr wichtig, denn wenn man es nicht schafft, ein Fußballprofi zu werden, kann man eine andere Karriere anstreben. Es ist sonst später schwierig. An seinen Traum glauben, an sich arbeiten, kämpfen, seine Träume nicht aufgeben und lernen.

Was war der wichtigste Moment ihrer Karriere?

Das Wichtigste war, in die brasilianische Nationalmannschaft zu kommen. Ich habe es geschafft, meinen Traum zu verwirklichen, im Trikot der seleção zu spielen und ein Tor zu machen, das ist noch viel wichtiger. Wenn ich heute aufhören müsste zu spielen, hätte ich schon alle meine Träume verwirklicht

"Die Leute in Deutschland mögen mich"

Was mögen Sie an Deutschland am meisten?

Wolfsburgs Grafite (l) wird von seinem Ex-Trainer Felix Magath beglückwünscht (Foto: AP)
Grafite und sein Wolfsburger Ex-Trainer Felix MagathBild: AP

Ich mag viele Dinge hier in Deutschland. Wenn ich frei habe, reisen wir durchs Land und lernen andere Städte kennen. Die Deutschen haben mich sehr freundlich aufgenommen, mit offenen Armen. Ich habe das Gefühl, die Leute hier mögen mich. Nicht nur wegen dem, was ich mache, sondern auch wegen dem, der ich bin. Ich unterhalte mich mit allen, ich scherze mit allen, ich habe für alle ein offenes Ohr. Ich bin jemand, der immer da ist, wenn ich helfen kann oder um zu reden, auch wenn ich nicht so gut Deutsch spreche. Ich glaube, es ist kaum möglich, sich hier nicht wohl zu fühlen. Ich mag nur die Kälte nicht besonders, es ist wirklich sehr kalt, aber ich habe mich schon daran gewöhnt. Ich bin ja schon seit vier Jahren in Europa, bald sind es drei Jahre in Deutschland. Das Leben hier ist entspannt. Ich weiß, dass meine Töchter in Sicherheit und in Ruhe aufwachsen und eine gute Bildung bekommen. Ich mag die Kultur hier, und die Menschen sind sehr höflich. Also, ich weiß, dass meine Familie es hier gut hat, und deswegen geht es mir auch gut.

Wer ist die erste deutsche Persönlichkeit, die Ihnen einfällt, abgesehen von Michael Schumacher, Boris Becker oder Franz Beckenbauer?

Felix Magath. Er ist eine deutsche Symbolfigur, wegen dem, was er in den letzten Jahren für den deutschen Fußball geleistet hat, Wenn es um Deutschland geht, denke ich an Magath und an die Kälte.

Das Interview führte Roselaine Wandscheer / Übersetzerin: Julia Maas

Redaktion: Arnulf Boettcher