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Politik

Was denken "Erdogans Bürger"?

Christoph Ricking
21. August 2017

Der türkische Präsident Erdogan erklärt CDU, SPD und Grüne zu Feinden der Türkei. Was sagen die türkischstämmigen Wähler dazu? Aus Köln Christoph Ricking.

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Köln Birlikte Kulturfest Gedenken an NSU-Anschlag Keupstraße
Bild: picture-alliance/dpa

Über Erdogan wollen hier nur die Wenigsten reden. In der Keupstraße in Köln-Mülheim herrscht am Montagmorgen geschäftiges Treiben. LKWs bringen Lieferungen zu den Geschäften. Vor den Friseurläden und Spielotheken rauchen Kunden und Angestellte eine Zigarette, trinken Kaffee und unterhalten sich.

Anwohner Mustafa Beihan überwindet sich dann schließlich doch zu einem Kommentar zu den jüngsten Wahlempfehlungen des türkischen Präsidenten Erdogan an die Deutschtürken. "Also, das war schon sehr unglücklich von ihm", meint er. "Wenn wir nicht mehr CDU oder SPD oder die Grünen wählen sollen, wen sollen wir dann wählen? Die FDP? Oder sogar die AfD?".

Rund 40 Prozent der Einwohner von Köln-Mülheim haben einen Migrationshintergrund. Etwa zwei Drittel von ihnen stammen aus der Türkei. Weil die Beziehungen zwischen dem Land in dem sie leben, und dem Land aus dem sie stammen, in den vergangenen Monaten immer frostiger wurden, stehen sie nun zwischen allen Fronten.

Deutschland Köln - Keupstraße: Mustafa Beihan, Passant
Anwohner Mustafa Beihan findet Erdogans Wahlempfehlungen "unglücklich"Bild: DW/C. Ricking

Wahlempfehlung aus Ankara

Vergangene Woche erreichte der diplomatische Streit zwischen Deutschland und der Türkei eine neue Eskalationsstufe. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan rief die türkischstämmigen Wähler in Deutschland auf, bei der Bundestagswahl im September nicht für die CDU, die SPD oder die Grünen zu stimmen.

Der Grund: Sie alle seien "Feinde der Türkei". Stattdessen forderte Erdogan die türkischstämmigen Wähler auf, ihr Kreuz bei Parteien zu machen, die die angeblich "antitürkische Politik" nicht mittragen. Dies sei "für meine Bürger in Deutschland" eine Frage der Ehre.

Diese Art von Kritik gefällt Mustafa Beihan aus der Keupstraße nicht. "Vielleicht sagt Erdogan die Wahrheit, aber er könnte sich diplomatischer ausdrücken", sagt er. Mit der jetzigen Situation zwischen Deutschland und der Türkei sei er überhaupt nicht glücklich, so Beihan. "Wir müssen schauen, dass wir diese Auseinandersetzungen aus der Welt schaffen und dann nach vorn schauen." Beide Länder bräuchten sich gegenseitig.

"Der Typ ist nicht normal"

Deutschland Köln - Keupstraße: Sedat Yildirim, Passant
Sedat Yildirim befürchtet, dass Erdogans Äußerungen vor allem ältere Deutschtürken beeinflussen könntenBild: DW/C. Ricking

Nur wenige Meter weiter ist der Deutschtürke Sedat Yildirim gerade auf dem Weg zur Stadtbahn. Obwohl er es eilig hat, nimmt er sich ein paar Minuten Zeit. Zum türkischen Präsidenten hat er eine klare Meinung.

"Er hat sich in die Wahlen nicht einzumischen. Der Typ ist nicht normal." Yildirim glaubt jedoch, dass sich viele türkischstämmige Wähler von Erdogan beeinflussen lassen. "Schauen sie sich die Leute hier an. Das sind Leute, die in den 60ern aus armen Verhältnissen hierher geschickt worden sind zum Arbeiten. Die sind nicht ausgebildet, das sind keine Akademiker. Und das passt Erdogan gut."

Yildirim liegt damit auf der Linie von Regierungssprecher Steffen Seibert. "Wir verbitten uns jede Art von Einmischung", kommentierte er Erdogans Wahlempfehlung auf Twitter. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel bezeichnete die Rede des türkischen Präsidenten als "bislang einmaligen Akt des Eingriffs in die Souveränität unseres Landes". Mit seinem Vorgehen zeige Erdogan, "dass er die Menschen in Deutschland gegeneinander aufhetzen will."

"Ich höre auf meinen Präsidenten"

Nicht alle Anwohner in Keupstraße sehen das so. Hakan B., der seinen vollen Namen nicht nennen will, hält Erdogans Aufruf für nachvollziehbar und das, obwohl er Kurde ist, wie er betont.

Deutschland Straßenszene Keupstraße
Klein-Türkei in Köln: In der Keupstraße in Mülheim herrscht reger Betrieb Bild: picture alliance/dpa/R. Weihrauch

"Ich als türkischstämmiger Kurde höre auf meinen Präsidenten", sagt B. "Ich werde mich jetzt erkundigen, welche Partei in Frage kommt, die die Türkei als NATO-Partner und Freund sieht. Und die Partei werde ich dann wählen."

B. ist wütend auf die Bundesregierung. Er glaubt, Erdogan habe mit seinem Vorwurf Recht, Deutschland biete Anhängern der PKK und der Gülen-Bewegung Unterschlupf. Letztere macht die türkische Führung für den Putschversuch im Sommer letzten Jahres verantwortlich.

Sehnsucht nach Normalität

Viele Anwohner sind des Streits zwischen Ankara und Berlin überdrüssig, sie wollen zur Normalität zurückkehren und nicht ständig in politischen Auseinandersetzungen Position beziehen müssen.

Überhaupt ist vom deutschen Wahlkampf in der Keupstraße nicht viel zu spüren. Die Einkaufsstraße in dem multikulturellen Stadtteil steht wie kaum eine andere Straße für türkisches Leben in Köln: Bäckereien, Restaurants, Reisebüros, Brautmodengeschäfte und Juweliere - hier reiht sich ein türkisches Geschäft an das nächste.

Wahlplakate von SPD und der Linkspartei hängen nur vereinzelt an den Laternenpfählen. Wahlwerbung der CDU und der Grünen – Fehlanzeige.