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"Beide Seiten sind für das Grauen verantwortlich"

1. August 2006

Wie kommentiert die internationale Presse die Lage in Nahost? DW-WORLD.DE hat für Sie eine Auwahl zusammengestellt.

https://p.dw.com/p/8sMC

Israelische Pressestimmen

Die Israelis seien kollektiv für die Toten im Dorf Kana verantwortlich, schreibt die YEDIOTH AHRONOTH:

"Die Bilder der Leichen sind herzzerreißend. Es ist wahr, dass Nasrallah das Dorf Kana benutzt hat um von dort aus Raketen in Richtung Israel zu schießen: Denn auch er ist sich bewusst, dass Israel nur widerwillig das Dorf (das vor zehn Jahren zu einem Symbol eines erbarmungslosen Massakers geworden ist) bombardieren würde. Aber dieser Widerwille befreit weder die Israelis, noch reinigt, noch besänftigt es ihr Gewissen. Auf nationaler Ebene tragen wir alle Schuld: Kleine Nationen sind Nationen mit einer kollektiven Verantwortung. Dieses Massaker sollte bei uns allen im Gewissen sein."

Die JERUSALEM POST analysiert in ihrer Online-Ausgabe die Psychologie des Krieges:

"Wie kann man kämpfen, gewinnen, aber am Ende doch als Verlierer da stehen? Das liegt an der Psycholgie des Kampfes und wie fast alle klassichen Kriege, beinhaltet auch der Konflikt zwischen Israel und Hisbollah die Nutzung der psychologischen Kriegsführung, um die Moral des Feindes zu untergraben und einen strategischen Vorteil zu gewinnen. (...) Die Hisbollah hat eine Technik eingeführt, die erfolgsversprechend scheint: Sie hat die Bevölkerung in ihre Kampfpläne einbezogen. Und eine Bevölkerung als Rüstzeug ist psycholgisch genauso wichtig wie die Raketen, die jeden Tag Richtung Israel geschossen werden. (…)"

Arabische Pressestimmen

Die offizielle, in Doha erscheinende Tageszeitung Al-RAYIA verurteilt das Blutbad von Kana, zugleich betont sie die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft:

"Der Nahe Osten steht nach dem abscheulichen Blutbad von Kana womöglich vor einer neuen Entwicklung. (...) Die 'arabische Straße' fordert nun - mit aller Vehemenz - die Einstellung der Kampfhandlungen und bekundet Solidarität mit den Opfern der israelischen Aggression gegen den Libanon. Auch wenn es zynisch klingen mag: Die unschuldigen Opfer von Kana verpflichten die internationale Gemeinschaft dazu, unverzüglich für einen Waffenstellstand zu sorgen. Denn aus diesem sinnlosen Krieg wird keine der Konfliktparteien als Sieger hervorgehen."

Der Kommentator der konservativen, in London erscheinenden transarabischen Zeitung ASHARG-ALAWSAT spricht von der Erosion der israelischen Abschreckungsstrategie.

"Nun beginnt die vordiplomatische Phase des 'offenen Krieges' zwischen der israelischen Armee (IDF) und der Hisbollah. Auch wenn es zu erwarten ist, dass das israelische Sicherheitskabinett die Ausweitung der Bodenoffensive und die Intensivierung der Luftschläge in den nächsten Tagen beschließen wird, wird es bald zu einer Einigung auf einen dauerhaften Stellstand kommen. Die Gründe dafür sind simpler Natur und können in einem Satz zusammengefasst werden: die Erosion der israelischen Abschreckungsstrategie. Die militärisch-strategische Massentötung unschuldiger arabischer Bürger durch die israelische Kriegsmaschinerie bestätigt eindruckvoll diese Schlussfolgerung. Kriegspsychologisch betrachtet, hat die Hisbollah deshalb diese Schlacht schon gewonnen, denn die hochmoderne IDF hat ihr Ziel bis dato nicht erreichen können (...)."

Europäische Pressestimmen

Die römische Zeitung LA REPUBBLICA schreibt, für das Grauen des Krieges seien beide Seiten verantwortlich

"Die Terror-Organisation Hisbollah und der Staat Israel haben nicht das Recht, sich die Verantwortung für das in Kana geschehene Grauen untereinander zu teilen. Jeder von beiden ist voll für diese Tragödie verantwortlich. Die Hisbollah, weil sie ohne jede Provokation seitens Israels diesen Krieg angezettelt hat und weil sie - mit Zynismus und absoluter Kälte - Zivilisten, Kinder und Behinderte benutzt, in deren Mitte sie ihre Kämpfer und Waffenarsenale versteckt. (...) Aber auch Israel ist für diese Katastrophe verantwortlich. Seit mehr als zwei Wochen agiert das Land mit Brutalität gegen die libanesische Bevölkerung und Infrastrukturen und es tut dies auf absolut unverhältnismäßige Weise. (...)"

Die links-liberale ungarische Tageszeitung NEPSZABADSAG verurteilt den Angriff Israels auf das libanesische Dorf Kana:

"Kana hätte man aus den Kriegsplänen 'aussparen' können. (...) Die israelische Kriegsführung hätte so viel Einfühlungsvermögen haben müssen um zu wissen, dass die Massentötung unschuldiger Menschen alle libanesischen Araber zu einer Phalanx zusammenschweißt. Und je mehr die israelische Kriegsmaschinerie im Wettlauf mit der Zeit voranstürmt, desto mehr wird die Befreiung von Israel und nicht von der Hisbollah zum Ziel für 90 Prozent der Libanesen. Sehr, sehr schade."

Die Hisbollah habe sich auf einen Krieg gut vorbereitet, schreibt die konservative britische Zeitung THE TIMES:

"Im Nahen Osten wird es keinen Frieden geben, solange die Hisbollah eine militärische Bedrohung für Israel darstellt. Einen Waffenstillstand könnte die radikal-islamistische Organisation als Sieg vermarkten, und das würde sie enorm stärken. (...) Ob die Hisbollah Israel provozieren wollte und mit einer militärischen Reaktion in dem Ausmaß rechnete, ist unklar. Es besteht jedoch kein Zweifel daran, dass sie sich bereits seit einiger Zeit auf einen Krieg vorbereitet hat, bestens ausgerüstet ist und alles daran setzt, ihn zu gewinnen."

US-Presse

Die LOS ANGELES TIMES schreibt, die USA seien zum großen Teil mitverantwortlich für die Toten in Kana:

"'Es ist Zeit', sagte Außenministerin Condoleezza Rice am Montag und bezog sich damit auf die Notwendigkeit eines Waffenstillstande. Es ist tatächlich Zeit. Der schreckliche israelische Luftangriff am Sonntag auf das Dorf Kana, bei dem fast 60 Menschen ums Leben kamen, heizte die Empörung über das Ausmaß der israelischen Angriffe weiter an. Wenn Rice sich erschüttert zeigte in Israel, dann weil die Vereinigten Staaten, die Israel einen Blankoscheck ausgestellt hat, um die Hisbollah zu zerstören, zum großen Teil mitverantwortlich für Israels Aktionen sind. Und weil es ein Ort war, wo vor einem Jahrzehnt ein ähnlicher Angriff auf ein UN-Flüchtlingslager passierte." (sf)