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Beim G7-Gipfel ist Russland trotz Abwesenheit präsent

Sabine Kinkartz4. Juni 2014

Wegen der Krise in der Ukraine treffen sich die sieben führenden Industrienationen in Brüssel statt in Sotschi. "Wir haben einen langen Atem", droht Bundeskanzlerin Angela Merkel im Deutschen Bundestag.

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Merkel Regierungserklärung 4. Juni 2014
Bild: Reuters

Die Entwicklung der Weltkonjunktur, die Regulierung der Schattenbanken, Klima- und Energiepolitik, die Erarbeitung neuer entwicklungspolitischer Ziele, die Suche nach gemeinsame Positionen für das G20-Treffen der führenden Industrie- und Schwellenländer Ende des Jahres in Australien – es dauerte fast neun Minuten, bis Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung im Bundestag auf den springenden Punkt kam. "Wenn wir uns all diese Themen des G7-Gipfels vor Augen führen, so könnte man fast meinen, es handle sich um einen ganz normalen Gipfel", so die Bundeskanzlerin. "Das ist aber natürlich in keiner Weise so."

Zum ersten Mal seit 16 Jahren werden sich die Regierungschefs der sieben führenden westlichen Industrienationen in Brüssel wieder im G7- und nicht im G8-Format treffen, also ohne Russland. "Das Vorgehen Russlands bei der Annexion der Krim hat diesen Schritt unumgänglich gemacht, denn die G8 sind eben nicht nur eine ökonomische Gemeinschaft, sondern auch eine Gemeinschaft, die Werte teilt", rechtfertigte Merkel den Ausschluss Russlands. "Dazu gehört zwingend die Achtung des Völkerrechts."

Russland soll kooperieren

Die Kanzlerin forderte Russland erneut auf, im Ukraine-Konflikt zu deeskalieren. Russland müsse endlich seinen Einfluss in der Ostukraine geltend machen, um Gewalt und Einschüchterung durch prorussische Separatisten Einhalt zu gebieten. Sollten die Destabilisierung und Einschüchterung in der Ukraine nicht aufhören, dann werde der Westen sich nicht scheuen, weitere Sanktionen gegen Russland zu verhängen. "Wir haben eine langen Atem, wenn es darum geht, Freiheit, Recht und Selbstbestimmung auf dem europäischen Kontinent durchzusetzen", betonte die Bundeskanzlerin.

"Unsere Aufgabe ist es, die Ukraine auf ihrem selbstbestimmten Weg zu schützen und altem Denken in Einflusssphären aus dem 19. und 20. Jahrhundert mit Antworten des globalen 21. Jahrhunderts zu begegnen", sagte Merkel. Die westliche Politik des 'Dreiklangs' werde beibehalten. Dabei gehe es um eine gezielte Unterstützung der Ukraine sowie um einen Dialog mit Russland, um eine diplomatische Lösung zu finden. "Russland muss von der Konfrontation zur Kooperation zurückkehren."

Zu den diplomatischen Bemühungen gehöre auch, Kontakte zwischen dem neugewählten Präsidenten der Ukraine, Petro Poroschenko und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu vermitteln. Die Bundeskanzlerin wird Poroschenko nach ihrer Rückkehr vom G7-Gipfel am Donnerstagabend in Berlin treffen.

Angriff der Linken

Der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Linken, Sahra Wagenknecht reicht das nicht aus. Poroschenko müsse unter Druck gesetzt werden, die Gewalt gegen die eigene Bevölkerung zu stoppen, forderte Wagenknecht in ihrer Erwiderung auf die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin. "In der Ukraine ist Europa schon gescheitert", stellte Wagenknecht im Bundestag fest. Deutschland unterstütze dort eine Regierung, der Minister einer "offen antisemitischen und antirussischen Nazipartei" angehörten und die den Konflikt weiter angeheizt habe. "Deutschland muss sich aus dem Schlepptau der US-Kriegspolitik in Osteuropa lösen", forderte die Linke-Politikerin. "Es gibt keinen Frieden und keine Sicherheit in Europa ohne und gegen Russland."

Wagenknecht griff die Bundeskanzlerin zudem wegen ihres Drängens auf Wirtschaftsreformen in anderen EU-Ländern an. Sie habe eine Mitschuld am Erstarken rechtsgerichteter Parteien bei der Europawahl. "Finden Sie es wirklich so erstaunlich, dass sich immer mehr Menschen von einem Europa abwenden, das sie als Lobbyisten-Club für Banken und große Unternehmen empfinden und das sie verantwortlich machen für die Zerstörung ihrer Arbeitsplätze, ihrer sozialen Sicherungssysteme und ihres Wohlstands?"

Berlin - Sahra Wagenknecht
Bild: picture-alliance/dpa

Kritik an Wagenknecht

Vor allem Wagenknechts Äußerungen zur Ukraine stießen bei den übrigen Parteien im Bundestag auf scharfe Kritik. Es sei inakzeptabel, dass die Linken-Politikerin bundesdeutsche Politik in den Zusammenhang mit dem Erstarken faschistischer und fremdenfeindlicher Kräfte in der Ukraine bringe, hieß es von Seiten der SPD. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckardt verwies auf das schlechte Abschneiden radikaler politischer Kräfte bei den Präsidentschaftswahlen in der Ukraine und warf Wagenknecht Populismus vor. "In der Ukraine versuchen Menschen, ein demokratisches Land aufzubauen und für Frieden zu sorgen. Dabei werden sie von uns unterstützt." Wer das nicht akzeptiere, der stelle sich selbst ins Abseits.

Debatte um Juncker

Göring-Eckardt ging in der Debatte über die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin auch auf die zurückliegende Europawahl ein. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe die EU und das EU-Parlament geschwächt, indem sie sich nach der Wahl nicht umgehend hinter den Spitzenkandidaten der EVP, Jean-Claude Juncker gestellt habe, der sich um das Amt des EU-Kommissionspräsidenten bemüht. Auch jetzt laviere Merkel noch und zeige keine Durchsetzungskraft.

Um die Nominierung Junckers für die Spitze der EU-Kommission wird seit der Europawahl erbittert gerungen. Er war der Spitzenkandidat der konservativen Europäischen Volkspartei, die wieder die größte Fraktion im EU-Parlament wurde. Der künftige Kommissionschef muss von den Staats- und Regierungschefs mit qualifizierter Mehrheit vorgeschlagen und dann vom EU-Parlament bestätigt werden. Dagegen wehrt sich vor allem Großbritannien.

Kanzlerin gegen Briten-Bashing

Die Kanzlerin sagte in ihrer Regierungserklärung, sie werde sich für die Wahl von Jean-Claude Juncker zum nächsten Präsidenten der EU-Kommission einsetzen. Die britischen Vorbehalte gegen Juncker teile sie nicht, so Merkel. "Aber ich halte es für grob fahrlässig, ja eigentlich für inakzeptabel, mit welcher Lockerheit manche darüber sprechen, dass es doch eigentlich gleichgültig sei, ob Großbritannien nun zustimme oder nicht, mehr noch, ob Großbritannien Mitglied der EU bleibe oder nicht. Das ist alles andere als gleichgültig, unwichtig, egal."

Großbritannien sei "wahrlich kein bequemer Partner" und habe schon viel von Europa profitiert. Europa habe aber auch viel von Großbritannien bekommen. Deswegen führe sie Gespräche im europäischen Geist und auf der Suche nach Kompromissen, so die Kanzlerin. "Gute Ergebnisse in Brüssel, die alles bedenken, sind selten überstürzt zustande gekommen. Sie brauchen Zeit, die haben wir uns deshalb nutze ich sie."