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Der Libanon und seine Stellvertreterkriege

Kersten Knipp31. August 2015

Der Unmut der Libanesen über ihre Regierung nimmt zu. Die ist nicht einmal in der Lage, die Müllentsorgung zu organisieren. Auch die regionalen Mächte scheinen an einer Lösung der Probleme nicht interessiert.

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Proteste wegen der Müllkrise in Beirut, 29.8.2015
Bild: DW/B.Barraclough

"Du stinkst!" - Die Plakate, die Demonstranten in Beirut ihren politischen Führern halten, sind deutlich. Ihr stinkt, weil Ihr nichts tut, um den Müll in den Straßen zu beseitigen. So klang jedenfalls der Vorwurf noch vor wenigen Tagen.

Inzwischen hat die Kritik sich ausgeweitet. Die politische Klasse stinkt ihren Bürger auch darum, weil sie in einem Sumpf von Vetternwirtschaft und Korruption verharrt und nicht bereit ist, zum Wohl des Landes ihre Privilegien aufzugeben.

Ihre Selbstsucht, schreibt der Politikwissenschaftler John Bell in einem Artikel für Al-Dschasira, untergrabe die politische Handlungsfähigkeit des ganzen Landes. "Kabinettsentscheidungen können wegen innerer Fehden nicht getroffen werden. Alles steht unter dem Zeichen von Eigeninteresse, Machttrieb und Gier. Sie sind wichtiger als Anstand und saubere Straßen. Willkommen in der Zukunft."

Die Zukunft des Libanons, wie Bell sie befürchtet, ist in anderen Staaten der Region längst Wirklichkeit geworden. "Was wir derzeit sehen", schreibt Bell, "ist der Zusammenbruch der arabischen Staaten unter dem Druck einer globalisierten Ökonomie, des Klimawandels, sich erschöpfender fossiler Energien und Korruption." Die heutigen Probleme seien vermutlich nichts im Vergleich zu denen, die noch kämen.

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Proteste wegen der Müllkrise in Beirut, 29.8.2015Bild: DW/B.Barraclough

Gefahren für die gesamte Region

Für den Libanon könnte das bedeuten, dass er noch tiefer als ohnehin schon in den Krieg im benachbarten Syrien hineingezogen wird. Nach wie vor befinden sich 25 im August 2014 entführte libanesische Soldaten in der Hand sunnitischer Extremisten.

Nach wie vor kämpft die schiitische Hisbollah an der Seite von Präsident Baschar al-Assad gegen dessen Gegner, die säkularen ebenso wie die dschihadistischen; und weiterhin halten sich rund eine Million syrischer Flüchtlinge im Land auf.

"Wird die libanesische Krise nicht gelöst", heißt es in der Zeitung "Al Hayat", "wird sich der konfessionelle Extremismus sowohl auf Seiten der Sunniten wie der Schiiten verbreiten." Die Folgen, so "Al Hayat" weiter, könnten sich dann in die arabischen Golfstaaten fortsetzen.

Die Krise im Libanon zeigt, wie fragil die Grenzen in der Region inzwischen auch dort sind, wo sie, anders als in Syrien und im Irak, noch fortbestehen. Die Richtung, die das Land derzeit nimmt, hat der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger in seinem vor einem Jahr erschienenen Buch "World Order", als mögliches Zukunftspotential des gesamten Nahen Osten beschrieben.

"Nationale und internationale Konflikte verstärken sich gegenseitig. Politische, konfessionelle, tribale, territoriale und lokale Konflikte vermischen sich", prophezeit Kissinger. Die Religion werde zu einer Waffe im Dienste geopolitischer Interessen: "Zivilisten werden auf Grundlage ihrer konfessionellen Zugehörigkeit ermordet."

Plakat mit dem Gesicht von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah, 12.08.2008 (Foto: AFP / Getty Images)
Von vielen Schiiten verehrt: Hisbollah-Chef Hassan NasrallahBild: Getty Images/AFP/A. Kenare

Unfähige Ordnungsmächte

Lösen ließe sich dieser Konflikt langfristig nur durch regionale Ordnungsmächte. In Frage kämen dafür nur zwei Staaten: Iran und Saudi-Arabien, die schiitische und die sunnitische Ordnungsmacht. Die sind derzeit aber vor allem damit beschäftigt, einander gegenseitig in Schach zu halten.

Nervös ist insbesondere Saudi-Arabien. Der Umstand, dass sich die USA mit der Teheraner Führungsspitze auf einen Atomdeal geeinigt haben, hat das Vertrauen des saudischen Königsreiches in seinen ehemaligen Verbündeten massiv erschüttert.

Besorgt ist die Staatsführung in Riad umso mehr, als auch Russland auf den Iran zugeht. Beide Staaten setzen sich für den Machterhalt des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad ein. In Saudi-Arabien gilt dessen Rückzug hingegen als unabdingbare Voraussetzung zur Beendigung des Bürgerkriegs.

Der Zwist zwischen Iran und Saudi-Arabien beschränkt sich nicht auf Syrien und den Libanon. Auch im Irak und noch mehr im Jemen ringen beide Staaten miteinander um Einfluss. Ihre Konkurrenz hat massiv dazu beigetragen, dass sich die Spannungen im Jemen zu einem Bürgerkrieg mit Tausenden von Toten auswuchsen.

Ein syrisches Flüchtlingslager im Libanon, 06.03. 2013 (Foto: AFP)
Zusätzliche Herausforderung: Die Lager für syrische FlüchtlingeBild: Getty Images/AFP/J. Eid

Am Rande des Chaos

Die Konkurrenz der beiden potentiellen Ordnungsmächte hat sich jeder Kooperation bislang entgegengestellt. Grundlegende gemeinsame Interessen – der Kampf gegen den Terror des IS, Al-Kaidas und der Nusra-Front, eine abgestimmte Förderung der fossilen Brennstoffe, überhaupt die Befriedung der Region, sind darüber in den Hintergrund getreten.

Statt Kooperation setzen die beiden Mächte auf Konfrontation. Jüngster Leidtragender dieser Politik ist nun der Libanon. Anstatt ihn zu stabilisieren, ringen die beiden Mächte auch hier um Einfluss.

Der Iran steuert den Libanon über die Hisbollah, Saudi-Arabien versucht über die "Allianz des 14. März" Einfluss auf das Land zu nehmen. Vorsitzender der Allianz ist Saad al-Hariri, der Sohn des 2005 ermordeten Ministerpräsidenten Rafiq al-Hariri. Der hatte lange Zeit in Saudi-Arabien gelebt und dort den Grundstein seines Vermögens gelegt.

Der Libanon findet nicht zur Ruhe – auch darum nicht, weil die beiden führenden Regionalmächte an dieser Ruhe kein Interesse haben. Unfähig, ihre Konkurrenz zu überwinden, tragen sie dazu bei, dass im Nahen Osten ein weiterer Staat ins Chaos kippt.