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"Beitrag zum Rassismus und zur Apartheid"

26. November 2002

– Vorsitzender des Nationalen Roma-Kongresses hält neu eingesetzte Roma-Beauftragte der ungarischen Regierung für überflüssig

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Budapest, 24.11.2002, 1805 GMT, RADIO BUDAPEST, deutsch

Wie schon berichtet organisierte das Budapester Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung gemeinsam mit dem Europäischen Forum für Demokratie und Solidarität die eintägige internationale Konferenz "Schritte in Richtung einer europäischen Roma-Politik". Seit 600 Jahren leben Roma mit uns in Europa. Im folgenden Gespräch spricht mein Interviewpartner, der Vorsitzende des Nationalen Roma-Kongresses Rudko Kawczynski (geboren in Polen, lebt in Deutschland – MD) von 800 Jahren. Wie dem auch sei, es geht nicht um Zahlen. Es geht darum, dass die Roma von Anfang an marginalisiert und diskriminiert wurden, ja werden. Mit der bevorstehenden EU-Erweiterung werden im gemeinsamen Haus Europa sechs Millionen Roma leben.

(...)

(Frage)

Ich habe gehört, dass Sie zwei Jahre lang in Ungarn gelebt haben. (...)

(Antwort)

Ich war sogar drei Jahre mit Ungarn beschäftigt und habe auch hier gewohnt. Ich habe für die Soros-Foundation, für das Open-Society-Institut die Roma-Programme eingerichtet und aufgebaut. Insofern (...) habe ich natürlich einen Einblick bekommen in die Situation der Roma in diesem Gebiet (...).

(Frage)

Und geht es den ungarischen Roma besser als denen zum Beispiel in der Slowakei oder in Tschechien? (...)

(Antwort)

Also, es geht ihnen nicht besser als allen anderen, übrigens auch nicht besser als denjenigen, die in vielen Weststaaten leben. Ich glaube, es ist kein unbedingtes Ost-West-Problem. Die Frage ist bisschen verkehrt gestellt. Die Frage müsste eigentlich lauten: Hat die Mehrheit die gleichen Vorurteile in Ungarn, wie sie sie in anderen Staaten hat? Und da kann ich nur sagen: Ja, es gibt die gleichen Vorurteile, die gleichen Stereotypen, die gleichen Verhaltensweisen, wie wir sie von Rumänien über Russland bis hin zu Finnland und bis hin zu Spanien und Griechenland finden, und Frankreich natürlich auch. (...)

800 Jahre leben Roma und Sinti und alle anderen Gruppen in Europa. Und diese Vorurteile sind etwas, was tradiert ist. (...) Es sind alles Vorurteile, die einen festen Platz in der Allgemeinheit haben. (...)

Das Problem, was sie (die Angehörigen der Mehrheitsbevölkerung – MD) nicht sehen, ist, dass wir aus Indien stammen, dass wir mit der Islamisierung Indiens als Sklaven nach Europa verschleppt worden sind, dass wir eine Geschichte haben vergleichbar mit den Schwarzen in den Vereinigten Staaten. (...)

(Frage)

Kann es zum Guten beitragen, dass es jetzt in der Kanzlei des (ungarischen – MD) Ministerpräsidenten einen Roma-Beauftragten, einen Hochkommissar (Laszlo Teleki – MD), gibt? Oder nehmen wir unser Unterrichtsministerium. Da gibt es mit Frau Viktoria Mohacsi zum ersten Mal eine sehr gebildete junge Roma, die für die Förderung des Unterrichts, der Bildung der Roma tätig ist. Vorher gab es das nicht. Trägt es zu etwas bei?

(Antwort)

Nein, es trägt zum Rassismus und zur Apartheid bei. Es wäre dann gut, wenn sie zuständig wäre für alle. Es wäre dann gut, wenn wir einen Staatssekretär hätten, der nicht nur für Roma als ‚Zigeuner-Beauftragter‘ (...) (zuständig wäre – MD).

Warum gibt es keinen Staatssekretär, der überhaupt Staatssekretär ist, für alle, und der Roma ist? Warum gibt es das nicht? Warum müssen Roma für Roma arbeiten? Warum muss es eine Beauftragte für Roma in einer Behörde geben? Nein, es muss andersrum gehen. Wir brauchen mal, warum nicht einen Präsidenten, warum nicht einen Premierminister, der Roma ist, für alle Ungarn. Denn die Roma sind Ungarn, und das vergisst man. (...)

(Frage)

Wird es für die Roma in Osteuropa bzw. in den Ländern, die jetzt unbedingt in die EU drängen, besser, wenn Ungarn, wenn Tschechien, wenn Polen EU-Vollmitglied sind?

(Antwort)

Es bereitet mir sehr große Schwierigkeiten, das zu beantworten. Einerseits wird es sicherlich besser sein für viele Menschen, dass sie das Land verlassen können. Sie brauchen keine Asylanträge mehr zu stellen. Sie können einfach wegfahren. Sie sind Bürger der EU. (...) Auf dieser individuellen Ebene wird es schon was bringen. Was es politisch bringt, da habe ich meine Zweifel. Das Problem der Diskriminierung und der Apartheid gegenüber Roma, das wird nicht mehr diskutiert werden. Nehmen Sie Griechenland. Griechenland ist das europäisch schlimmste Land für Roma in ganz Europa. Das ist ein unvorstellbarer rassistischer Haufen, der dort regiert und die Roma so unterdrückt, das ist nicht vergleichbar, mit keinem osteuropäischen Staat. Und sie (die Griechen – MD) sind Mitglied der Europäischen Union. Also redet man nicht darüber. Wenn es Berichte gibt, dann werden sie neutralisiert. (...)

Wir hatten ja mehr Europa unter Österreich-Ungarn übrigens als heute. Damals hatte man keine Pässe gebraucht. Heute ist man ohne Pass kein Mensch. (me)