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Belarus: Mit Sowjetrezepten gegen die Krise

29. Juni 2011

Das Land hochverschuldet. Die Wirtschaft im Stillstand. Die Währung im Fall. Präsident Lukaschenko hat jetzt die Ursache der Krise gefunden: Die mangelnde Arbeitsdiziplin der Bevölkerung ist schuld.

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Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko(Foto: dpa)
Der belarussische Präsident Alexander LukaschenkoBild: picture alliance/dpa

Um den Staatsbankrott zu verhindern und die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, greift der weißrussische Präsident Lukaschenko zu Maßnahmen, die aus dem Geschichtsbuch stammen. Offenbar sieht er sich an die letzten Jahre der Sowjetunion erinnert. Denn die Führung des Landes ist zu dem Schluss gekommen, dass es mit der Arbeitsdisziplin der Bevölkerung in der aktuellen Krise nicht zum Besten steht. Damit soll nun Schluss sein: Wer schlecht arbeitet, soll bestraft werden.

Auf einer Versammlung mit den Spitzen der Strafverfolgungsbehörden erklärte der Präsident: "Wir haben die sowjetischen Erfahrungen aus der Zeit Andropows. Ob es einem nun gefällt oder nicht, aber ungefähr so wie damals müssen wir jetzt einen jeden zum Arbeiten zwingen." Und so sagt Lukaschenko dem Schlendrian den Kampf an: "Die Hälfte der Zeit wird gefaulenzt. Wir leisten nur die Hälfte von dem, was wir leisten müssen, aber leben wollen wir in Wohlstand."

Fahndung nach Arbeitsverweigerern

Jurij Andropow, sowjetischer Parteichef 1982-1984
Jurij Andropow, sowjetischer Parteichef 1982-1984Bild: dpa

Zur Erinnerung: Jurij Andropow war von Ende 1982 bis zu seinem Tod Anfang 1984 Chef der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Während seiner kurzen Amtszeit wollte er die sieche Planwirtschaft retten – insbesondere durch mehr Ordnung und Disziplin. Seinem Plan zufolge sollten verstärkte Kontrollen und verschärfte Strafen die Arbeitsproduktivität steigern.

Und so wie damals sind jetzt die belarussischen Strafverfolgungsbehörden mit der Suche nach Arbeitsverweigerern beauftragt. Dabei legen die Verantwortlichen einigen Eifer an den Tag. Eine Welle von Überprüfungen und Kontrollen hat das Land überzogen. In Brest beispielsweise schlossen die Fahnder sämtliche Ausgänge des Zentralen Kaufhauses ZUM und begannen die Kunden zu fragen, warum sie sich dort ausgerechnet zur Arbeitszeit aufhielten. Solcher Art "Kundenbefragungen" wurden auch in Geschäften anderer Städte durchgeführt, zum Beispiel in Grodno und Gomel.

Sogar vor Schulen machen die Fahnder nicht Halt. In der Stadt Witebsk tauchten Kontrollhefte auf, in denen festgehalten wurde, welcher Lehrer um wieviel Uhr ins Schulgebäude ein- und ausging. In Brester Schulen wurden Computer auf Dateien wie Spiele, Fotos und Videos überprüft. "Die Praxis zeigt, dass wir - und damit meine ich die ganze Gesellschaft - noch nicht reif sind, uns selbst zu kontrollieren. Also muss uns der Staat kontrollieren", erklärte ein Behördenvertreter dazu.

"Die Kampagne ist eine Farce"

Der ehemalige belarussische Arbeitsminister, Alexander Sosnow, hält die neue Kampagne zur Steigerung der Arbeitsdisziplin für Unsinn. Um die Leute zu animieren, besser zu arbeiten, bedürfe es vor allem wirtschaftlicher Anreize und nicht administrativer, sagte er im Interview mit der Deutschen Welle. Der Vorsitzende der Vereinigung des kleinen und mittleren Unternehmertums, Sergej Balykin, hält es für eine Farce, dass in Belarus des Jahres 2011 Maßnahmen aus Sowjetzeiten zur Anwendung kommen. Er erinnert daran, dass ein Straftatbestand für Arbeitsverweigerung, wie er zu Zeiten Andropows bestanden habe, in Belarus nicht gelte. Zudem seien die meisten derjenigen, die einer Kontrolle unterzogen würden, schlicht arbeitslos. Balykin sagt weiter, er sei nicht in der Lage, den tieferen Sinn für das Wiederaufleben der Andropow-Ära erkennen zu können. Zur Erhellung der Motive könnten wohl eher Psychologen beitragen, mutmaßt er.

Der unabhängige Wirtschaftswissenschaftler Michail Salesskij unterstreicht, dass solche Methoden uneffektiv seien und selbst seinerzeit im Rahmen der sowjetischen Planwirtschaft keine positiven Ergebnisse gebracht hätten. Im Endeffekt trugen sie sogar zum Zerfall der Sowjetunion bei, meint der Ökonom. Zu Zeiten Andropows beschränkte sich notwendiger gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Wandel auf rein administrative Maßnahmen und die Festigung der Arbeitsdisziplin. Tatsächlich aber blieb es bei den überkommenen politischen und wirtschaftlichen Strukturen, während sich die ideologische Kontrolle und die Verfolgung Andersdenkender verschärften. Im Volksmund jedenfalls ging Andropow in die Geschichte ein, als "der, der Ordnung schaffen wollte, aber nicht konnte".

Autoren: Andrej Timarow/Birgit Görtz

Redaktion: Bernd Johann