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Belarus: Oppositionspolitiker Kosulin weiter im Hungerstreik

23. November 2006

Seit mehr als vier Wochen befindet sich der Oppositionspolitiker Aleksandr Kosulin im Hungerstreik. Damit will er auch den UN-Sicherheitsrat auf den katastrophalen Umgang mit Menschenrechten in Belarus aufmerksam machen.

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Aleksandr Kosulin bei einer Kundgebung am 17.03.2006 in MinskBild: picture-alliance/ dpa

Der Führer der Vereinigten Bürgerpartei Aleksandr Kosulin galt bei der letzten Präsidentschaftswahl im März neben Aleksander Milinkiewitsch als einer der schärfsten Herausforderer des autoritären Amtsinhabers Aleksandr Lukaschenko. Die Wahl sah er als Chance, die Entwicklung in Belarus zum Positiven zu wenden. Doch das offizielle Wahlergebnis übertraf seine schlimmsten Befürchtungen. Demnach erhielt Kosulin knapp zwei Prozent der Stimmen, im Gegensatz zu Lukaschenko, für den über 80 Prozent der Wähler gestimmt haben sollen.

Keiner zweifelte daran, dass dieses Ergebnis gefälscht wurde. Als Zeichen des Protests hat Kosulin die Mitbürger dazu aufgerufen, auf die Straßen zu gehen, um friedlich gegen die Wahlfälschung zu demonstrieren. Rund 10.000 Menschen sind seinem Aufruf gefolgt. Knapp eine Woche dauerten die Proteste auf dem zentralen Oktoberplatz, wenige Tage darauf wurde Kosulin verhaftet. Im Juli wurde er zu fünfeinhalb Jahren Haft wegen "Rowdytum" verurteilt. Er habe seine Landsleute zu Massenunruhen angestiftet und somit gegen die geltende Staatsordnung verstoßen. Er ist nun einer der 17 politischen Gefangenen in Belarus und befindet sich derzeit in einem Gefängnis 300 Kilometer von Minsk entfernt.

Kritik an Opposition

Seit dem 20. Oktober hat der 50-Jährige keine feste Nahrung mehr zu sich genommen. Kosulin hungere nicht gegen sein ungerechtes Gerichtsurteil. Heute gebe es in Belarus ein viel wichtigeres Problem, worauf er die Weltöffentlichkeit aufmerksam machen wolle, so seine Frau, Irina Kosulina: "Unser Präsident hat eigentlich kein Recht darauf, im Amt zu bleiben. Darüber redet aber keiner, es gibt keinerlei Proteste. So wird er als rechtmäßiger Präsident akzeptiert. Dagegen protestiert mein Mann mit seinem Hungerstreik."

In ihrem Kampf gegen das diktatorische Regime im Lande fühlt sich Irina Kosulina allein gelassen. Die Opposition unternehme viel zu wenig, um die Situation in Belarus zu verändern, beklagt Kosulins Frau. Die Erklärung dafür liege auf der Hand: "Die Opposition hat Angst. Nicht jeder ist bereit, ins Gefängnis zu gehen. Wenn einer jedoch diesen Weg einschlägt, sollte er das auch durchziehen, um so gegen das Regime zu kämpfen."

Kosulins Zustand ernst

Zum letzten Mal hat Irina Kosulina ihren Mann vor fünf Wochen gesehen, bevor er in den Hungerstreik getreten ist. Seitdem dürfen weder sie selbst noch ein Anwalt Kosulin besuchen. Sein Gesundheitszustand wird von der Gefängnisleitung geheim gehalten. Über das Wohlbefinden ihres Mannes weiß seine Frau nur aus Berichten eines anderen politischen Gefangenen, der kürzlich freigelassen worden ist. Der ehemalige Abgeordnete Sergej Skrebez war aus Solidarität mit Kosulin 27 Tage lang in Hungerstreik getreten. Nach seinen Worten hat sich der Gesundheitszustand des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten in den letzten Wochen deutlich verschlechtert: "Er ist körperlich erschöpft, seine Reaktionen sind langsamer geworden, der Blutdruck sinkt, auch die Körpertemperatur. Kosulin hat bereits 20 Prozent seines Körpergewichtes verloren. Auch sein Herz und seine Nieren arbeiten nicht mehr normal." Kosulin müsse seine Zelle mit 16 weiteren Häftlingen teilen, so Skrebez. Der Kontakt mit ihnen sei aber streng untersagt.

Kosulin hat auch keinerlei Verbindungen zur Außenwelt. Es gebe einen entsprechenden Befehl von oben, so Skrebez. Den ehemaligen Häftling aber wundert dieser Zustand nicht mehr: "Dort werden elementare Menschenrechte verletzt. Man geht mit den Häftlingen um wie man will. Die Vorschriften sind so lächerlich: Man darf nicht duschen, man ist nicht telefonisch erreichbar, man darf keinen Besuch empfangen und keine Mitbringsel entgegennehmen, nicht einmal Äpfel oder Honig."

Hungerstreit aus Solidarität

Aus Solidarität zu Kosulin sind Dutzende von Menschen landesweit in den Hungerstreik getreten. Auch Kosulins Töchter, Julia und Olga, haben sich am 18. November dem Hungerstreik angeschlossen: "So wollen wir unseren Vater moralisch unterstützen. Ich bin bereit so lange zu hungern, wie es für meinen Vater notwendig ist. Ich verzichte auf feste Nahrung und trinke nur Wasser. Ich will, dass sich möglichst viele Menschen dem Hungerstreik anschließen", sagt Kosulins jüngste Tochter Julija. Je mehr Menschen am Hungerstreik teilnähmen, desto höher sei die Chance, dass ihr Vater bald freigelassen werde, so die 22-jährige Studentin.

Das hofft auch Kosulins Parteifreund Aleksej Korol, der jetzt die Führung der Sozialdemokratischen Partei übernommen hat. Die Unterstützung Kosulins in den eigenen Parteireihen sei groß, bekräftigt Korol: "Wir haben ihn gebeten, den Hungerstreik einzustellen. Am wichtigsten ist jetzt seine Gesundheit. Das ist das Kapital, das für weitere demokratische Veränderungen in Belarus notwendig ist. Es gibt noch so viel zu tun."

Internationale Reaktionen gefordert

Es werde sicherlich einige Zeit beanspruchen, bis die belarussische Frage auf die Tagesordnung des UN-Sicherheitsrates kommt. Das momentane Ziel sei, diese Frage zur Abstimmung einzubringen. Jedes der fünf ständigen Mitglieder sollte sich dafür einsetzen, so Korol. Er selbst sorge dafür, den "Fall Kosulin" an die Weltöffentlichkeit zu bringen: "In Belarus läuft derzeit eine groß angelegte Unterschriftenaktion für Kosulins Freilassung. Insgesamt haben wir schon über 8.000 Unterschriften gesammelt. Wir haben auch sämtliche europäischen Regierungen und Bürgerrechtler über Kosulins Hungerstreik benachrichtigt und um Stellungnahme gebeten."

Bisher gab es nur vereinzelte Reaktionen, sagt Kosulins Stellvertreter. Vergangenen Freitag (17.11.) zeigte sich zum Beispiel die deutsche Bundesregierung besorgt über Kosulins Gesundheitszustand. Eine entsprechende Erklärung machte der Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin, Martin Jäger: "Wir weisen noch einmal darauf hin, dass die Verurteilung Kosulins politischer Natur war. Die Bundesregierung fordert deshalb die weißrussische Regierung erneut mit Nachdruck auf, Herrn Kosulin sowie sämtliche weitere politischen Gefangenen unverzüglich freizulassen."

Olja Melnik
DW-RADIO, 21.11.2006, Fokus Ost-Südost