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Belarussische Jugendliche kämpfen um ihre Studienplätze

2. Juni 2005

Aktivisten demokratischer Jugendorganisationen werden wegen ihrer politischen Ansichten aus Universitäten ausgeschlossen. Um ihr Recht auf Bildung durchzusetzen, greifen sie nun zu extremen Maßnahmen: Hungerstreik.

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Im vergangenen Jahr wurde die Europäische Universität in Minsk geschlossenBild: AP

Sechs junge Studenten haben sich vor dem Hörsaal versammelt. Um neun Uhr beginnt die Vorlesung, aber sie müssen draußen bleiben. Seit mehreren Monaten dürfen sie an den Lehrveranstaltungen nicht teilnehmen. Grund dafür sind ihre politischen Ansichten.

Student Pawel berichtet: "Ich wurde exmatrikuliert, weil ich an einer Kundgebung teilgenommen habe. Man hat mich festgenommen und zu zehn Tagen Freiheitsstrafe verurteilt. Drei Tage danach flog ich von der Uni." Pawel ist verzweifelt. Neben ihm steht sein Kommilitone Artur. Auch er darf seit zwei Monaten nicht mehr in die Uni, erzählt er: "Als Vorwand hat man mich zu einer Prüfung nicht zugelassen. In Wirklichkeit besuchte ein KGB-Mitarbeiter meinen Dekan und übte auf ihn Druck aus."

Hungerstreik als letzte Möglichkeit?

Beide jungen Männer sind in der Organisation Junge Front aktiv. Rund 2000 Jugendliche im Alter von 15 bis 24 Jahre gehören ihr an. Sie setzen sich für Demokratie und Menschenrechte in ihrem Land ein. Dabei riskieren sie ihren Studienplatz. Vor knapp einem Jahr ist die einzige unabhängige Universität des Landes, die Europäische Humanistische Universität, geschlossen worden. Sie war der letzte Ort, an dem demokratisch orientierte Jugendliche relativ unbehelligt studieren konnten. Nun unterliegt das ganze Bildungssystem der Überwachung des Staates.

Seit Anfang des Jahres wurden in Belarus bereits 33 junge Menschen exmatrikuliert. Aber es sind nicht nur Studenten, sondern auch Schüler betroffen. Sie haben keine Möglichkeit mehr, ihre Grundausbildung abzuschließen, obwohl diese vom Grundgesetz vorgeschrieben ist. Pawel berichtet: "Am Anfang haben wir dagegen protestiert, aber unsere Forderungen wurden nicht gehört. Alles wurde nur noch schlimmer. Also mussten wir in Hungerstreik treten. Das ist unsere letzte Hoffnung."

"Kinder wollen lernen"

Die Jugendlichen fordern, dass die exmatrikulierten Studenten ihr Studium wieder aufnehmen dürfen. Das Motto der Aktion heißt: "Kinder wollen lernen"; ihr Emblem ist eine gelbe Sonne, die über einer Schulbank aufgeht. Plakate mit diesem Motiv sieht man überall in belarussischen Städten. Der 17-jährige Vadim berichtet über den Hungerstreik: "Wir trinken nur Wasser und verzichten auf andere Lebensmittel. Solange unsere Kräfte reichen, gehen wir unseren alltäglichen Pflichten nach. Danach konzentrieren wir uns nur auf das Hungern."

Mit jedem Tag schließen sich dem Hungerstreik weitere Jugendliche an. Derzeit nehmen elf junge Menschen, darunter zwei Minderjährige daran teil. Sie hungern gemeinsam in einer Wohnung am Stadtrand von Minsk. Am Sonntag (29.5.) bekamen sie Besuch von der Leiterin der Ideologie-Abteilung der Universität und einem Polizisten. Die Beamten notierten die Namen der Jugendlichen und schlugen ihnen vor, den Hungerstreik zu beenden. Doch diese lassen sich nicht darauf ein. Student Artur bekräftigt: "Wir werden so lange durchhalten, bis alle betroffenen Schüler und Studenten ihre Ausbildung fortsetzen können." Am vergangenen Mittwoch (1.6.2005), dem achten Tags des Hungerstreiks bekamen vier Jugendliche gesundheitliche Probleme und mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Unterstützung aus der Bevölkerung

Die Jugendlichen finden Unterstützung in allen Schichten der Bevölkerung. Eine Reihe bekannter Persönlichkeiten aus Politik und öffentlichem Leben starteten bereits eine Unterschriftenaktion. Sie fordern die belarussische Regierung auf, die Repressionen gegenüber den Jugendlichen zu stoppen. Die Petition wurde am Mittwoch dieser Woche dem belarussischen Bildungsminister übergeben. Eine Antwort gab es nicht. Die belarussischen Jugendlichen sind zuversichtlich: "Wir werden es schaffen, uns selbst und unser Land zu verteidigen und uns eine gute Zukunft zu sichern. Jetzt müssen wir zusammenhalten. Nur so können wir dem Regime widerstehen. Es bleibt uns nichts anderes übrig."

Olja Melnik
DW-RADIO, 1.6.2005, Fokus Ost-Südost