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Benachteiligt, aber trotzdem erfolgreich

Miriam Widman5. Juni 2015

Deutschland ist Mitfavorit auf den WM-Titel - trotz vieler negativer Vorurteile, Diskriminierungen und mangelnder Unterstützung im eigenen Land. Oder vielleicht sogar eben deshalb?

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Russland Deutschland Frauenfußball Nationalmannschaft Frauen 2013 Berlin Deutschland
Bild: Bongarts/Getty Images

Zum WM-Start der Fußballfrauen in Kanada lohnt sich ein Blick auf die Statistik vom vergangenen Turnier. Im Jahr 2011 haben rund 17 Millionen Deutsche den Fernseher angemacht, um das Viertelfinale zwischen Gastgeber Deutschland und Japan zu verfolgen. Zum Vergleich: doppelt so viele haben sich das WM-Finale der Männer gegen Argentinien im vergangenen Jahr angeschaut. Aber das war eines der wichtigsten Spiele in der deutschen Fußballgeschichte.

Vergleicht man also diese beiden Zahlen, so könnte man annehmen, dass Frauenfußball in Deutschland hoch angesehen ist. Aber dem ist nicht so. "Es gibt nur sehr wenig Unterstützung", erklärt Trainer Nahed Mohammad. Seit über 30 Jahren arbeitet er beim BSC Kickers 1900 und hat quasi alle Mannschaften mal gecoacht, auch das Damenteam.

Schaut man sich die Zahl der aktiven Vereinsspieler an, so ergibt sich ein noch deutlicheres Bild. Auf jeden vierten Jungen kommt gerade mal ein Mädchen. In den USA ist das Verhältnis fast 50:50. Und in Schweden gar 3:2 für die Sportlerinnen.

Und was noch überraschender ist: Zwar war die Frauen-Fußball-WM im eigenen Land ein Fernseherfolg - hat aber keine nachhaltigen Auswirkungen gehabt. "Der erwartete Boom der Heim-WM ist ausgeblieben", bilanziert Kevin Langner, ein Sprecher des Berliner Fußballverbandes.

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Gerade mal 20 Prozent der Fußballer in Deutschland sind weiblichBild: picture-alliance/dpa/F. Gentsch

Aktive Fußballerinnen monieren weiterhin viele Ungerechtigkeiten im Sportalltag. Erst kürzlich musste in Berlin ein wichtiges K.o.-Spiel um 22 Uhr abgebrochen werden, weil die Fluchtlichter ausgeschaltet wurden. Die Proteststürme bei Facebook waren einhellig der Meinung: Das wäre bei einem Männerspiel nie passiert. Die 1. Mannschaft des FC Lübars beispielsweise hat sich für die Bundesliga qualifiziert - kann aber nicht antreten, weil die finanziellen Mittel fehlen.

Beschwerden gibt es auch häufig über die Platzbedingungen. Oft müssen die Mädchen auf Plätze abseits mit schlechtem Untergrund ausweichen. Das ist übrigens auch ein Thema bei der jetzigen WM in Kanada: Die Frauen müssen auf Kunstrasen spielen, obwohl viele Mannschaften dies vehement ablehnten. Bekannte Spielerinnen wie die Deutsche Nadine Angerer, die US-Amerikanerin Abby Wambach und Marta aus Brasilien führten sogar eine Rechtsstreit gegen die FIFA und den kanadischen Fußballverband. Nachdem mit "Repressalien gedroht wurde", zogen sie ihre Klage wieder zurück.

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Ein Hoch auf den FrauenfußballBild: picture-alliance/dpa/R. Weihrauch

Der Frauenfußball hat in Deutschland schon immer einen schweren Stand. Der Deutsche Fußballbund (DFB) hat erst 1970 das Verbot für Frauenfußball aufgehoben. Seitdem ist es ein ständiger Kampf um Anerkennung - bis heute. Und das betrifft die Bundesliga genauso wie die Arbeit kleinerer Vereine.

"Die Strukturen im Männerfußball sind ganz anders", erzählt Oscar Zimmermann, ein Journalist und Frauenfußballfan, der 2009 die Webseite dramba.de gegründet hat, um den Frauenprofifußball zu fördern. "Es gibt viel mehr Altersgruppen bei den Jungen." So muss beispielsweise ein 17-jähriges Mädchen in der Erwachsenenliga spielen. "In meinem Team kicken Spielerinnen, die länger Fußball spielen als ich lebe", meint Verena Räder, eine 18-Jährige Spielführerin bei Berlin Hertha 03 Zehlendorf.

Das klassische Vorurteil

Ein Grund, warum Frauenfußball in Deutschland noch längst nicht etabliert ist: Viele Deutsche sind der Meinung, dass die meisten Frauen, die Fußball spielen, lesbisch seien. "Wenn ich Leuten erzähle, dass ich Fußball spiele, sind sie oft überrascht", sagt die US-Amerikanerin Claudine Beckley, die ebenfalls bei Hertha 03 Zehlendorf spielt. "Weil ich einen Ehemann und zwei Kinder habe." Ihre Mitspielerin Susi Menzendorf hat erst mit 19 Jahren angefangen Fußball zu spielen. "Mein Vater hat es mir nicht erlaubt, weil er meinte, dass ich sonst lesbisch werde."

"Natürlich gibt es homosexuelle Spielerinnen beim Frauenfußball - genauso wie es homosexuelle Spieler beim Männerfußball gibt", berichtet Andre Eggert, der Manager beim FC Lübars. Aber die Frauen gingen offener damit um, sagt Eggert. Bei den Männern dagegen sei es ein Tabuthema, dass bei einigen zu Depressionen führe.

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Schlechte Plätze, kein Flutlicht: Frauen haben es in Fußball-Deutschland nicht immer einfachBild: picture-alliance/dpa/F. Gentsch

Dennoch, trotz der Schwierigkeiten zu Hause, wird die Deutsche Frauenfußballnationalmannschaft bei der WM in Kanada bei vielen Wettanbietern nach den USA als zweitbeste Turniermannschaft gehandelt. Den Deutschen gelang 2007 sogar die WM-Titelverteidigung - etwas, dass dem Männerteam noch nie gelang.

Das geringe Interesse am Frauenfußball hat zum Vorteil, dass durch Medien und Fans kaum Druck ausgeübt wird. So kann Bundestrainerin Silvia Neid seit zehn Jahren fast ungestört arbeiten. Und auch die Spielerinnen von Herhta 03 Zehlendorf sehen etwas Positives am Negativen: Weil die meisten Mädchen und Frauen im Fußball immer wieder auf Widerstände stoßen, spielen letztendlich nur die, die es wirklich wollen - für Ruhm, Ehre und Geld spielt keine, weil es das nicht gibt.

"Mädels, die Fußball spielen, lieben den Sport“, sagt Beckley. Sie müssten sich immer wieder beweisen. "Ich spiele mit großartigen Persönlichkeiten. Das Training ist toll. Die Organisation ist sehr gut und so ist auch das Leistungsniveau. Schade, dass es hier nicht mehr davon gibt."