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"Bergfest" - Beklemmendes Filmdebüt

12. Juli 2010

Ein Familienwochenende in den verschneiten Bergen wird zum beklemmenden Psychotrip. Im Mittelpunkt: ein höchst kompliziertes Vater-Sohn Verhältnis.

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Junge Leute sitzend im Abendlicht im Schnee - Szene aus "Bergfest" (Foto: Bergfilm Produktion)
Bild: Bergfilm Produktion

Hannes sieht seinen Vater Hans-Gert zum ersten Mal nach vielen Jahren wieder. Eigentlich wollte er auf der abgelegenen Berghütte nur die Verlobung mit seiner Freundin Ann feiern. Doch nach und nach kommt vieles aus der Vergangenheit ans Tageslicht, was vor langen Jahren passiert ist, als Hannes noch ein zehnjähriger Junge war. Seine Eltern hatten sich getrennt, er lebte fortan bei seiner Mutter und ihrem neuen Mann Rolf.

Doch jener Rolf missbrauchte den Jungen, Hannes spricht auch heute nicht darüber, ob es sich um sexuelle Übergriffe handelte, oder ob Rolf ihn "nur" zu Boden drückte und ihm Beschreibungen vom Geschlechtsverkehr mit seiner Mutter in die Ohren presste. Doch das Schlimmste an dieser über fünfzehn Jahre zurückliegenden Geschichte ist das Versagen des leiblichen Vaters, des Theaterregisseurs Hans-Gert, der, obwohl Hannes sich ihm anvertraute, über die Sorgen seines Sohns hinweg ging.

Peter Kurth und Martin Schleiß sitzen sich an einem Tisch gegenüber - Szene aus "Bergfest" (Foto: Bergfilm Produktion)
Hannes und Hans-Gert sind sich nur selten einigBild: Bergfilm Produktion

Viele Fragen - keine Antworten

Auch in der Schlüsselszene des Films "Bergfest" von Florian Eichinger findet Hannes, überzeugend gespielt von dem Schauspiel-Newcomer Martin Schleiß, eigentlich keine Antworten auf seine drängenden Fragen nach den Motiven für das Verhalten des Vaters. Wollte er sich an seiner Ex-Frau rächen, wollte er den Sohn abhärten oder war es einfach pures Desinteresse?

"Ich bin in der Welt ein fremder Gast", so drückt Hans-Gert sein Unvermögen aus, die Verantwortung, die mit seiner Vaterrolle verbunden ist, anzunehmen. Und tatsächlich zeigt dies auch sein heutiges Gebaren. Seine aktuelle Freundin, Lavinia, gespielt von Rosalie Thomaes, hat gerade das Abitur hinter sich gebracht und würde altersmäßig fast besser zu Hannes als zu dessen Mitfünfziger-Vater Hans-Gert passen.

Anna Brüggemann, Martin Schleiß, Peter Kurth in der Berghütte - Szene aus "Bergfest" (Foto: Bergfilm Produktion)
Ann, Hannes und Hans-GertBild: Bergfilm Produktion

Ein eigenartiges Kleeblatt

Hans-Gert ist noch immer der Alte, er hört sich am Liebsten selbst reden, trägt im Portemonnaie noch immer den alten Brief, den ihm der Regisseur Rainer Werner Fassbinder vor dreißig Jahren schrieb und greift ansonsten gern nach allem, was weiblich ist. So auch nach durchzechter Nacht einmal nach Hannes Freundin Ann, was zu einem weiteren Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn führt. Dabei hatte Ann dieses Treffen auf der Berghütte sogar eingefädelt, weil sie auf eine Aussöhnung der beiden hoffte. Nun muss sie erleben, dass es sie fast noch weiter auseinanderbringt. Oder doch nicht?

Autobiografische Hintergründe

Er habe durchaus auch autobiographische Aspekte in den Film fließen lassen, erzählt Florian Eichinger, "ich hatte kein gutes Verhältnis zu meinem Stiefvater. Das meiste habe ich im Sinne der Geschichte allerdings so weit verdichtet, dass sich die Figuren und Motive im Film von denen in meinem Leben doch sehr unterscheiden." Ob Hannes und Hans-Gert doch noch eine Chance auf eine Erneuerung und Verbesserung ihrer Beziehung haben, lässt der Film offen. Nur mit dem Titel "Bergfest", lässt Florian Eichinger noch einen Hoffnungsschimmer aufscheinen. Ein Bergfest feiert man, wenn die Hälfte einer großen Aufgabe überstanden ist, man quasi "über den Berg" ist.

Martin Schleiß und Anna Brüggemann umarmen sich im Schnee - Szene aus "Bergfest" (Foto: Bergfilm Produktion)
Klammern sich aneinander: Ann und HannesBild: Bergfilm Produktion

Mit dem Film, der mit einem sehr kleinen Budget und nur an einem Schauplatz in den verschneiten Bergen gedreht wurde, suchte Eichinger bewusst einen thematischen Anknüpfungspunkt an Thomas Vinterbergs Dogma-Drama "Das Fest", das ebenfalls eine problematische Vater-Sohn-Beziehung zum Thema hat. Und tatsächlich erinnert der extrem minimalistische Film, der fast vollständig auf Musik verzichtet und in dem man zuweilen nur das Knirschen der Schritte im Schnee, das Keuchen der Menschen und der Quietschen einer Lederjacke hört, ein wenig an diese Vorlage. "Bergfest" ist ein eindringlicher, teilweise beklemmender Film geworden, der unter die Haut geht.

Autorin: Katja Lückert

Redaktion: Jochen Kürten