1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Ein Pyrrhussieg für die Demokratie?

18. Juli 2016

Und wie geht es jetzt weiter mit der Türkei? In Berlin wächst die Sorge vor einem nun endgültig autoritär regierenden Staatschef Erdogan.

https://p.dw.com/p/1JQaC
Verhaftungen nach dem Putschversuch in der Türkei (Foto: picture-alliance)
Bild: picture-alliance/AA/M. Kula

Die politischen Säuberungsaktionen nach dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei werden in Berlin mit größter Sorge beobachtet. Die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, befürchtet nun eine Rachejustiz durch Präsident Recep Tayyip Erdogan. In den "Ruhr Nachrichten" äußerte die SPD-Politikerin die Sorge, dass "Erdogan diese Situation ausnutzen und versuchen wird, seine Position zu festigen, und zwar nicht unbedingt unter Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien". Das Gegenteil sei aber nun gefordert: "Erdogan sollte jetzt Stärke zeigen, in dem er keine Rachejustiz propagiert und faire Verfahren garantiert - genau da liegt ja das Vertrauensproblem", sagte die Staatssekretärin im Bundeskanzleramt weiter.

Erdogan hat nach dem gescheiterten Putsch vom Wochenende umgehend mit den angedrohten "Säuberungen" in Militär und Justiz begonnen. Rund 3000 Militärangehörige sind festgesetzt, fast ebenso viele Richter und Staatsanwälte abgesetzt und in Gewahrsam genommen.

Am Sonntagabend deutete Erdogan vor Anhängern an, auch über die Wiedereinführung der Todesstrafe nachzudenken. Die Regierung werde mit der Opposition darüber beraten und eine Entscheidung treffen, so der Staatspräsident. Die Türkei hatte die Todesstrafe im Jahr 2002 im Zuge ihres Strebens nach einer EU-Mitgliedschaft abgeschafft.

In Deutschland verfolgt man die jüngsten Ankündigungen aus Ankara mit großer Sorge. Regierungssprecher Steffen Seibert warnte die Türkei davor, Menschen zum Tode zu verurteilen. "Deutschland und die EU haben eine klare Haltung: Wir lehnen die Todesstrafe kategorisch ab", erklärte Seibert in Berlin. "Ein Land, das die Todesstrafe hat, kann nicht Mitglied der EU sein."

Rücksturz in die Vergangenheit?

Auch die Türkische Gemeinde in Deutschland ist durch die aggressive Tonlage beunruhigt. Mit seinen Äußerungen über "Vergeltung und Säuberung" polarisiere Präsident Erdogan die Gesellschaft, kritisierte der Bundesvorsitzende der Gemeinde, Gökay Sofuoglu. Schon die Verfolgung Tausender Richter zeige die Gefahr, dass der misslungene Staatsstreich dazu genutzt werden könnte, in die Vergangenheit abzugleiten. Die Türkei müsse einen demokratischen Weg gehen, sagte Sofuoglu der Deutschen Presse-Agentur.

Zwar war Bundeskanzlerin Angela Merkel eine der ersten, die Ankara zur Einhaltung demokratischer Spielregeln bei der Verfolgung der Putschisten ermahnte. Doch nach Ansicht des Koalitionspartners SPD muss Erdogan härter angegangen werden: "Die Bundeskanzlerin muss sich deutlicher äußern, als sie das in der Vergangenheit getan hat", sagte Fraktionsvize Rolf Mützenich dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Und der SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold geht davon aus, dass es in der Türkei "noch schlechter und autoritärer" wird. Deshalb würden in Deutschland "die Debatten, ob die Türkei der richtige Bündnispartner ist, immer schwieriger werden", sagte Arnold dem "Handelsblatt".

Präsident Erdogan bei der Beerdigung seines Wahlkampfleiters, der bei dem Putschversuch ums Leben kam (Foto: Reuters)
Präsident Erdogan bei der Beerdigung seines Wahlkampfleiters, der bei dem Putschversuch ums Leben kamBild: Reuters/A.Konstantinidis

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier appellierte an die Führung in Ankara, bei der Aufarbeitung des Putschversuchs "alle rechtsstaatlichen Grundsätze" zu beachten. Alle Beteiligten müssten sich ihrer Verantwortung für die Demokratie und für ihre Verfassungsordnung bewusst bleiben, sagte er in Berlin. Nach Angaben aus dem Auswärtigen Amt telefonierte der Minister mit seinem türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu, um über die Lage in der Türkei zu beraten.

Am Montagvormittag tagen die im Bundestag vertretenen Parteien. Die Lage in der Türkei dürfte ein Hauptthema sein.

rb/cw (afp, dpa, rtr)