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Berlinale-Retrospektive: The Weimar Touch

Jochen Kürten10. Februar 2013

In den 1920er Jahren schaute die Filmwelt nach Deutschland. Was in Berlin entstand, galt als innovativ. Das sollte Folgen haben. Noch Jahrzehnte später orientierten sich Regisseure am Kino der Weimarer Republik.

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Filmszene aus Some like it hot von Billy Wilder mit Jack Lemmon, Tony Curtis, Marilyn Monroe (Foto: © MGM Studios/Park Circus)
Bild: MGM Studios/Park Circus

Was hat ein Film des amerikanischen Regisseurs John Ford über einen Bergarbeiterstreik aus dem Jahre 1941 mit Weimar zu tun? Und warum zeigt die Berlinale-Retrospektive 2013 Billy Wilders Klassiker "Manche mögen's heiß" innerhalb der Filmschau "The Weimar Touch"? Die Antwort ist einfach. Die filmhistorische Retrospektive der Berlinale, die sich stets einer prägenden Persönlichkeit oder einer einflussreichen Filmepoche widmet, will historische Zusammenhänge aufzeigen. Sie "bringt Filme aus aller Welt zurück auf die Leinwand - oft in restaurierter Fassung oder mit neuer Kopie", so heißt es in den Richtlinien der "Stiftung Deutsche Kinemathek".

Instabile Demokratie - Hochzeit der Künste

Diesmal also "The Weimar Touch": Zwischen 1918 und 1933 herrschte eine Phase instabiler Demokratie in Deutschland. Es war aber eine Zeit, in der die Künste Triumphe feierten. Auch und insbesondere das Kino. Schaut man auf den Untertitel der Berlinale-Retro, "The International Influence of Weimar Cinema after 1933", dann wird schnell deutlich, was den Kuratoren hier vorgeschwebt hat: zu zeigen, welch starken Einfluss das deutsche Kino der 20er Jahre auf nachfolgende Regie-Generationen vor allem in Hollywood hatte. Das betraf nicht nur die vielen aus Deutschland ausgewanderten Filmschaffenden, sondern eben auch US-Regisseure wie John Ford.

"How Green Was My Valley" drehte John Ford im Jahre 1941, als in Europa der Zweite Weltkrieg tobte. Die Geschichte einer vielköpfigen walisischen Bergarbeiterfamilie, die sich mit dem industriellen Umbruch zu Beginn des Jahrhunderts, aber auch vielen privaten Nöten auseinandersetzen muss, ist ein melodramatisch zugespitzter Film über soziale Härten und den Zusammenhalt der Familie. Der Grund aber, warum Fords Klassiker in Berlin gezeigt wird, liegt an der Ästhetik des Films: "Die Lichtsetzung von Friedrich Wilhelm Murnau war für viele Regisseure der US-amerikanischen Produktionsfirma Fox, bei der Murnau von 1926 bis 1929 unter Vertrag gewesen war, ein Vorbild, so auch für John Ford", sagt Rainer Rother, Chef der Deutschen Kinemathek.

Szene aus dem John Ford-Film How green was my valley (Foto: Deutsche Kinemathek)
"How Green Was My Valley"Bild: Deutsche Kinemathek

Der Ruf Hollywoods

Murnau war einer der prominentesten deutschen Regisseure, die während der Weimarer Republik Filme drehten ("Faust", "Der letzte Mann") und bereits früh nach Amerika gingen. Manche Filmschaffende reizte es schon damals, im "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" Filme zu machen. Hollywood lockte mit viel Geld, mehreren großen Filmstudios und dauerhaft gutem Wetter. Doch in den Jahren nach Murnaus Weggang aus Deutschland veränderten sich die Beweggründe der Künstler.

Marlene Dietrich in einer Szene des Orson Welles-Films "Touch of evil" (Foto: The Museum of Modern Art, New York, © Universal Pictures)
Film Noir aus Hollywood mit deutschem Filmexport: Marlene Dietrich in "Touch of Evil"Bild: Universal Pictures/The Museum of Modern Art, New York

Die Nationalsozialisten sahen insbesondere im Film ein Mittel für ihre perfide Propaganda. "Wir denken gar nicht daran, auch nicht im Entferntesten zu dulden, dass jene Ideen, die im neuen Deutschland mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden, irgendwie getarnt oder offen im Film wieder ihren Einzug halten", hetzte Reichspropagandaminister Joseph Goebbels schon im März 1933 gegen die jüdischen Filmschaffenden. Die Zahl der ins Exil getriebenen Künstler aus Deutschland wird auf rund 2000 geschätzt. Zu ihnen gehörten Regisseure, Autoren, Schauspieler und Komponisten, Filmausstatter, Techniker.

Komödienkunst aus Deutschland!

Nur die wenigsten konnten sich in den folgenden Jahren in der Fremde durchsetzen. Wenn gesagt wird, dass Hollywood ohne den europäischen Zuzug der Filmschaffenden nicht zu dieser Blüte gekommen wäre, dann ist das richtig. Doch ist die Zahl der im Exil gescheiterten Filmkünstler größer als die der erfolgreichen. Billy Wilder, der in der Weimarer Republik als Autor und Regisseur debütierte, wurde zum König der Hollywood-Komödie, "Some Like It Hot" mit Marilyn Monroe zu einem der bekanntesten Filme der Kinogeschichte. Seine Wurzeln aber hatte er im Berlin der Weimarer Republik. Die Retrospektive weist auf diese Zusammenhänge hin. "Filmkomödien und Musikfilme spielen eine große Rolle", sagt Rother und deutet an, dass Deutschland gerade im beschwingten Film-Genre Bahnbrechendes geleistet hat. Das mag heute manche überraschen. Billy Wilder und andere setzten diese in Deutschland verschüttete Tradition in Hollywood fort.

Szene aus "To Be or Not to Be" von Ernst Lubitsch (Foto: Deutsche Kinemathek)
Über das Naziregime im Kino Scherze treiben: "To Be or Not to Be" von Ernst LubitschBild: Deutsche Kinemathek

Fünf Schwerpunkte setzt die Retrospektive, neben Komödien und Lustspielen wird auch der große Einfluss düsterer Kriminalfilme gewürdigt. "Auffällig ist, dass der Thriller von der Tradition Weimars profitierte, wie sie sich etwa in den Filmen von Fritz Lang ausgeprägt hatte", meint Rother. Gerade der "Film Noir" sei dann zum Ausdruck einer großen, kreativen Phase des amerikanischen Films geworden. "Schaut man sich dieses Subgenre genauer an, lässt sich feststellen, dass in einem erstaunlich hohen Maße Regisseure und Autoren vertreten sind, die aus Deutschland emigrieren mussten."

Widerstand gegen die Nazis - im Kino

Schließlich führte der Exodus der Filmkünstler der Weimarer Republik auch dazu, dass sich viele Regisseure in den vierziger Jahren mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzen. Die Retrospektive verdeutlicht das anhand von Beispielen im Kapitel "Know Your Enemy". Neben einigen heute fast unbekannten und wiederzuentdeckenden Werken werden in Berlin auch Klassiker wie Fritz Langs "Hangmen Also Die!" und Ernst Lubitschs "To Be or Not to Be" gezeigt. So eröffnet die diesjährige Berlinale-Retrospektive einen weiten Blick auf ein wichtiges Kapitel der Filmgeschichte. Und sie zeigt, dass das deutschsprachige Kino damals Weltgeltung genoss - zunächst in den Jahren zwischen 1918 und 1933 in Deutschland, später dann - über den Umweg des Exils - vor allem auch in Hollywood.