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Politik

Berliner Freiheit für "Özgürüz"

Jülide Danisman
27. Januar 2017

Die Anzahl oppositioneller türkischer Medien in Deutschland wächst. Das neue Online-Portal "Özgürüz" mit Can Dündar an der Spitze wurde noch vor seinem Start in der Türkei gesperrt. Ein Redaktionsbesuch in Berlin.

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Screenshot der Seite ozguruz.org
Bild: ozguruz.org

Die Mitarbeiter des neuen Online-Magazins "Özgürüz" (dt. "Wir sind frei") verfolgen in ihrer Berliner Redaktion weder die aktuellen Nachrichten über Fernseher, noch versuchen sie, hektisch die nächste Meldung in ihre Computer einzugeben. Die Atmosphäre im Büro ist ruhig, obwohl die Vorbereitungen auf Hochtouren laufen. 

Die neue Online-Plattform will "für das Recht auf Information eintreten". In seinem Vorstellungsvideo sagte der im deutschen Exil lebende türkische Redaktionsleiter Can Dündar, der früher die türkische Zeitung "Cumhuriyet" leitete, die Türkei brauche freie und mutige Medien. "Aus diesem Grund haben wir uns an die Arbeit gemacht. Wir bereiten uns darauf vor, so groß zu werden, dass wir auch unsere arbeitslosen Kollegen mit einbeziehen können."

"Özgürüz" kooperiert mit dem deutschen Recherchezentrum "Correctiv". Dieses hat der Redaktion einen Teil seiner Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt und unterstützt es bei Organisation und Technik. Das Team besteht zurzeit aus 20 Mitarbeitern aus Deutschland und der Türkei. 

Im DW-Interview erzählt "Correctiv-Chefredakteur Markus Grill, er habe Can Dündar bei der Verleihung des Leuchtturm-Preises an das Hamburger Netzwerk "Recherche" kennengelernt. Dort sei die Idee entstanden, "ein unabhängiges und freies Medium für die Menschen in der Türkei zu gründen". 

Deutschland Can Dündar gründet Özgürüz Online-Medium
Deutsch-türkische Medienkooperation (v.l.n,.r.): Hayko Bagdat, Markus Grill, David Schraven und Can Dündar Bild: picture alliance/dpa/M. Gambarini

Angst vor Verfolgung

"Özgürüz" wird täglich auf Deutsch und Türkisch erscheinen und plant, Nachrichten, Kolumnen, investigative Berichte und Videos zu bringen. Bei der Suche nach Journalisten, die aus der Türkei berichten, stießen die Macher allerdings auf Probleme. "Viele sind wieder abgesprungen", berichtet Grill. "Sie haben uns ganz offen gesagt, dass sie aufgrund der Lage in der Türkei die Mitarbeit als zu riskant einstufen. Sie fürchten sich vor dem Druck und haben Angst davor, ins Gefängnis geworfen zu werden."

Auf ihrer Internetseite scheibt "Özgürüz", dass mit der Ausrufung des Ausnahmezustands nach dem vereitelten Putschversuch am 15. Juli 2016 der Druck auf Medienunternehmen und Journalisten in der Türkei gewachsen ist. 69 Medienunternehmen seien geschlossen worden, rund zweitausend Journalisten arbeitslos und rund 150 Journalisten wurden verhaftet.

Neben Can Dündar gehört auch der türkische Journalist Hayko Bağdat zum Team der Redaktion. Er möchte sich von den Drohungen und dem Druck, dem er in der Türkei ausgesetzt ist, entfernen, erzählt er. Als letztes hatte er eine Kolumne in der türkischen Zeitung "Diken" veröffentlicht. "Eigentlich ist es seltsam, dass ich noch nicht verhaftet wurde", sagt er. Jetzt möchte er erst einmal für "Özgürüz" in Berlin arbeiten, so Bağdat gegenüber der DW.

Zielgruppe in Deutschland

Bağdat betont, dass die Plattform gegründet wurde, "um Journalismus zu betreiben". Sie verfolgten das Ziel, "die Wahrheit, Menschenrechte, Presse und Meinungsfreiheit ans Licht zu bringen". Zielpublikum ist die Leserschaft in der Türkei und alle, die sich für die Türkei interessieren. Eines ihrer ersten Themen im Jahr ist der 2016 gestiegene Waffenverkauf zwischen der Türkei und Deutschland.

Redaktionsräumen des Nachrichtenportal Özgürüz und Correctiv
Projekt Pressefreiheit: In den Redaktionsräumen der Nachrichtenportale Özgürüz und CorrectivBild: DW/B. J. Danisman

Zu Deutschlands Rolle in diesem Zusammenhang sagt Bağdat: "Ihr beschwert euch immer so viel über die Türkei, dabei habt ihr wahnsinnig viele Waffen verkauft. Wo wurden diese Waffen eingesetzt? Wurden sie eingesetzt, als die Stadt Cizre in Brand gesetzt wurde? Oder in Syrien? Ihr schimpft auf einen Mann, der das Potential hat, diese Waffen gegen sein eigenes Volk einzusetzen, stellt euch selbst als anständig dar und betreibt dabei hinterrücks diese Geschäfte. Warum?"

 

Der Druck auf die Medien in der Türkei hat zu einem Zuwachs von oppositionellen türkischen Medien in Deutschland geführt. So hat der Westdeutsche Rundfunk (WDR) mit der Sendereihe "Türkei Unzensiert" begonnen, in der türkische Journalisten zu Wort kommen. Die Berliner Tageszeitung "taz" hat das Internetportal "taz.gazete" gegründet.

"Ich denke, dass diese Konkurrenz zwischen uns sehr hilfreich ist", so Hayko Bağdat. "Dann können wir noch mehr Journalisten, die hierhergekommen sind, beschäftigen. Wir können noch mehr Quellen ausfindig machen und alle möglichen Kooperationen eingehen. Diese kleine Konkurrenz im Journalismus kann uns nur motivieren".

Auf der Suche nach Geldgebern

"Özgürüz" hat in der Türkei schon mehr Resonanz bekommen als der WDR und "taz.gazete". Noch vor seinem Start sperrte das türkische Amt für Informationstechnologie und Kommunikation die Seite. Can Dündar reagierte darauf mit einem Tweet: "Der, der das noch nicht veröffentlichte Buch verbietet [Anmerkung der Redaktion: das Buch "Imamin Ordusu" ("Die Armee des Imams") über die Gülen Bewegung von Ahmet Şık wurde noch vor der Veröffentlichung in der Türkei verboten], sperrt auch die Seite, die noch nicht gestartet ist… so denkt er zumindest".

Neben der Sperre in der Türkei  kämpft das Online-Portal auch mit Geldsorgen. Im Moment wird das Projekt finanziell von der Rudolf-Augstein-Stiftung, dem Verein GLS Treuhand und dem Deutschen Journalisten Verband (DJV) unterstützt. "Dieses Geld reicht für sechs bis acht Wochen", sagt "Correctiv"-Chefredakteur Markus Grill. Man suche nach weiteren Finanzquellen, vor allem unter den Lesern. Nur zwei Tage nachdem verkündet wurde, dieses Portal zu gründen, hätten außerdem rund 100 Menschen zugesagt, das Portal mit monatlich 10 Euro zu unterstützen.

Verhaftete Journalisten in der Türkei