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Kleinkrieg um Gaslaternen

Christoph Richter 6. August 2012

Keine Stadt weltweit hat mehr Gaslaternen als Berlin. Noch - denn die Politiker der Stadt wollen nun den Gashahn zudrehen, Umwelt und Geldbeutel zuliebe. Doch einige Bürger kämpfen um ihr Kulturerbe.

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Eine echte Schinkelleuchte (Foto: Berthold Kujath)
Die Schinkelleuchte gibt es seit 1892 - und nur in BerlinBild: Berthold Kujath

Und es ward Licht. 1826. In Berlin. Zu einer Zeit, als man noch in Kutschen verkehrte und sonntags im Gehrock mit Stehkragen und Stock über den Berliner Prachtboulevard "Unter den Linden" stolzierte. Allerdings nur tagsüber. Denn nachts waren die Straßen noch in tiefste Dunkelheit gehüllt. Das sollte sich schlagartig ändern, als die Gasbeleuchtung nach London auch nach Berlin kam - und die Straßen ab sofort in gelbwarmes Licht eintauchen sollte.

Heute sind Gaslaternen ein kostbares Gut, ein Flächendenkmal erster Güte. Einzelne Modelle wurden gar von keinem Geringeren als dem weltberühmten preußischen Architekten und Stadtbaumeister Karl Friedrich Schinkel gestaltet, dessen Bauten bis heute das Berliner Stadtbild prägen. Doch damit dürfte bald Schluss sein. Denn: der Berliner Senat will die 43.500 Gaslaternen - mehr als die Hälfte des auf 80.000 Exemplare geschätzten Weltbestandes - verschrotten. Leuchten, die alle Wirren der Zeit überstanden haben: die Reichsgründung, zwei Weltkriege, das kommunistische SED-Regime und die Berliner Mauer.

Berliner Leuchtenkrieg

Der fast 60-jährige Kultmoderator und Gaslaternen-Liebhaber Ilja Richter ist wütend. Verzweifelt schüttelt er seinen silbernen Haarschopf. Vor 40 Jahren hat er mit seiner Fernsehsendung "Disco" die westdeutschen Sehgewohnheiten revolutioniert. Richter ist eines der berühmten Gesichter, die sich für den Erhalt der Gaslaternen einsetzen. Er findet es gefährlich, einer Stadt das Historische zu nehmen. "Man baut zwar disneymäßig ein Schloss wieder auf und sagt, das muss sein wegen der Authentizität und historisiert bis zum Gehtnichtmehr." Gleichzeitig aber wolle man die Gaslaternen nicht mehr. Ilja Richter versteht die Welt nicht mehr.

Gaslaterne "Großer Galgen" in der Berliner Schlossstraße (Foto: Berthold Kujath)
Vom "Großen Galgen" gibt es in Berlin noch 4000 StückBild: Berthold Kujath

Dem gegenüber stehen nüchterne Zahlen. Der Berliner Senatverwaltung für Stadtentwicklung geht es um das Einsparen von 9200 Tonnen CO2. Stichwort: Klimawandel. Das ist der ökologische Aspekt. Aber es gebe auch aus ökonomischer Sicht keine Alternativen, heißt es weiter. Denn Berlin ist notorisch knapp bei Kasse und muss sparen. 23 Millionen Euro gibt die Stadt jedes Jahr für seine öffentliche Beleuchtung aus, je zur Hälfte für Strom und für Gas. Nur werden mit dem Geld gut viermal so viele elektrische Leuchten betrieben.

Hinzu kämen die höheren Wartungskosten. "Da muss man sich, zumindest als nicht ganz ignoranter Bürger, fragen, ob das noch gerechtfertigt ist", betont Stephan Völker, weltweit anerkannter Lichtexperte von der Technischen Universität Berlin und Berater der Stadt.

Berliner Lichtschock

Kommen sollen nun Elektroleuchten der Marke "Jessica". Deren Licht habe schon in anderen Straßen für eine kalte Stimmung gesorgt, sagt der Diplom-Ingenieur Bertold Kujath von der Initiative "Gaslicht-Kultur". Die Initiative hat Berlins Gaslaternen katalogisiert und kontrolliert regelmäßig, ob sie noch da sind. Bertold Kujath weiß genau, warum er sich engagiert: Gaslaternen seien "leuchtende Zeugnisse einer herausragenden Stil- und Industrieepoche" der Hauptstadt. "Berlin war ja mal eine der Metropolen der europäischen Gasversorgung."

Eine typische Berliner Aufsatzleuchte (Foto: Berthold Kujath)
Eine typische Berliner Aufsatzleuchte, 20.000 Exemplare davon gibt es nochBild: Berthold Kujath

Gas sei der Motor der Industrialisierung gewesen. Durch die Laternen sei Leben in die Stadt gekommen. Sie habe ihr Bild geprägt und sei bald in Literatur, Musiktexten und Film aufgetaucht. Ob er ein unbelehrbarer Nostalgiker ist? Kujath verneint. "Dieser technische Wandel, dieser technische Fortschritt, den erkennen wir natürlich an, den sehen wir auch. Aber es darf nicht dazu führen, dass ein weltweit einmaliges Kulturgut komplett auf den Schrotthaufen geworfen wird." Sollte die Stadt in dem Streit nicht einlenken, will sich die Initiative "Gaslicht-Kultur" an die UNESCO wenden. Die Berliner Gaslaternen-Vielfalt als Weltkulturerbe?