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'Stop Mutilation'

28. September 2009

800 Mädchen weltweit werden täglich genital verstümmelt. Vom afrikanischen Ritus sind auch Migrantinnen in Deutschland betroffen. Die Somalierin Jawahir Cumar, selbst beschnitten, berät in Düsseldorf betroffene Frauen.

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Waris Dirie schrieb die Film-Vorlage zur "Wüstenblume"Bild: AP

Täglich werden weltweit rund 800 Mädchen am den Genitalien verstümmelt. Der Eingriff garantiert Jungfräulichkeit vor der Ehe. Zudem gilt eine Frau mit Genitalbeschneidung in vielen afrikanischen Ländern als schön und rein. Ein Leben lang leiden die Frauen unter Schmerzen während des Wasserlassens oder der Menstruation.

Wer aber denkt, dass diese Tradition nur im islamischen Afrika zu Hause ist, der irrt. Auch manche in Deutschland lebende afrikanische Migrantinnen werden beschnitten. Dafür werden die Mädchen in den Sommerferien in ihren Heimatländern geflogen. Die Preise für den illegalen Eingriff in Europa liegen zwischen 1500 und 2000 Euro.

Lebenslanger Schmerz für die Tradition

Die Somalierin Jawahir Cumar berät beschnittene Frauen in Deutschland
Die Somalierin Jawahir Cumar berät beschnittene Frauen in Deutschland.Bild: DW

Die Somalierin Jawahir Cumar wurde als fünfjährige genital verstümmelt. Mit 14 merkte sie, dass sie anders ist als ihre deutschen Mitschülerinnen:

"Im Sportunterricht bin ich zusammengebrochen, man hat mich zum Krankenhaus gefahren. Keiner wusste was lost ist, bis man mich nach mehreren Stunden zur Gynäkologie schickte. Dort haben die Ärzte gesehen, dass ich sollte meine erste Periode bekommen sollte. Das Blut konnte aber nicht heraus fließen."

Die Ärzte stellten fest, dass Cumars Genitalien verstümmelt wurden. Innere und äußere Schamlippen sowie Klitoris fehlten, die Vulva war bis auf ein erbsengroßes Loch zugenäht. Dank einer Öffnungsoperation hat die heute 33-Jährige damals überlebt. Cumar wurde als Kind in ihrer Heimat Somalia beschnitten. Ihre Eltern waren gegen den Eingriff, beugten sich aber dem Wunsch der Großmutter.

"Ich wusste von nichts, als ich mit meiner Oma und Tante ins Krankenhaus ging", erinnert sie sich. "Ich bekam eine Narkose und als ich aufwachte, waren meine Beine zugebunden und ich hatte furchtbare Schmerzen.“

Und die hat sie bis heute. Doch so makaber es klingt, Cumar hatte Glück im Unglück. Denn im Gegensatz zur ihr, werden die meisten Mädchen nicht in Krankenhäusern beschnitten. In afrikanischen Dörfern werden Mädchen oft nur mit Glasscherben, Rasierklingen und ohne Betäubung verstümmelt. Nicht wenige sterben daran.

Beratungsstelle für Betroffene in Düsseldorf

Christoph Zerm, Gynäkologe aus Herdecke, bildet Gynäkologen zum Thema weibliche Beschneidung weiter
Christoph Zerm bildet Gynäkologen zum Thema Beschneidung weiter.Bild: DW

Auch Migrantinnen sind von Female Genital Mutilation, kurz FGM, betroffen. Darum hat Cumar 2005 mit ihrem Verein „Stop Mutilation“ eine Beratungsstelle in Düsseldorf eröffnet. Hier versucht sie durch Gespräche und medizinische Aufklärung die Angehörigen von einer Beschneidung abzubringen. Keine leichte Aufgabe, denn der Druck aus der Heimat ist groß. In Deutschland leben geschätzt 30.000 Betroffene.

Beschnittene Frauen begleitet sie zum Frauenarzt. Denn viele, so Cumar, haben Angst vor der Reaktion eines ahnungslosen Arztes. Vor allem ärgert sie die Unwissenheit der Ärzte. "Immer fragen die Ärzte, ob man da unten Feuer bekommen hätte. Also, wirklich komische Andeutungen werden da gemacht. Damit sollten Mediziner sensibler umgehen, auch wenn sie eine solche Patientin das erste Mal behandeln."

Christoph Zerm, Gynäkologe aus Herdecke versucht genau das bei einer Untersuchung zu beherzigen. Wenn er eine Patientin mit FGM hat, dann versucht er zunächst ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. "Das ist die wichtigste Grundlage, bei der man dann bei einem zweiten oder dritten Behandlungstermin auch auf die Genitalverstümmelung zu sprechen kommen kann."

„Junge Mediziner müssen darauf vorbereiet sein“

Mädchenbeschneidung in Somalia
In einigen afrikanischen Ländern ist Beschneidung noch immer verbreitetBild: picture-alliance / dpa/dpaweb

Zerm, arbeitet seit neun Jahren auch in Eritrea. Zusätzlich bietet er an der Uni Witten/Herdecke Vorlesungen zu FGM an, damit ein junger Arzt nicht erst in der Praxis damit konfrontiert wird. Er legt besonders wert darauf, dass Ärzte die fremde Kultur verstehen. Allerdings nicht blind darauf eingehen. Gerade das wieder Zunähen, die so genannte Refibulation - beispielsweise nach einer Geburt - lehnt Zerm strikt ab: "Ich selber bin der Auffassung, dass es ganz klar ist, dass ich als Arzt keine Handlung durchführe, der den bisherigen Zustand verschlechtert. Und das wäre es immer dann, wenn ich eine geöffnete Frau wieder zunähe. Insofern habe ich von meiner beruflichen Ethik her und von meinem medizinischen Auftrag her, eine ganz klare Handhabe, dass ich nicht wieder zunähen darf."

Strafrecht reicht kaum für Verurteilungen aus

Nach dem Strafrecht ist Genitalverstümmelung in Deutschland eine schwere Körperverletzung . Zerm reicht die Rechtssprechung jedoch nicht aus: "Ein Richter richtet sich im Allgemeinen danach, was im Gesetzestext steht und wenn da das Wort Genitalverstümmelung nicht auftaucht, dann tut er sich schwer auch wegen solch eines Deliktes zu verurteilen. Das ist mit ein Grund, warum eine dezidierte Anti-FGM-Gesetzgebung in Deutschland eingeführt werden sollte." Besonders wichtig dabei sei, so betont der Arzt, dass ein Gesetz nicht so formuliert werde, dass alle Afrikaner unter Generalverdacht geraten.

Das wichtigste, da sind sich Zerm und Cumar einig, ist die Vermeidung von Genitalverstümmelungen. Cumar konnte im vergangenen Jahr zehn Familien überzeugen, ihre Töchter nicht beschneiden zu lassen.

"Das ist schon ein positives Ergebnis“, findet Cumar, "aber ich meine, zehn ist immer noch wenig, wir müssen Hunderte, Tausende, Millionen überzeugen!“

Autorin: Priya Palsule-Desai

Redaktion: Dirk Bathe