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Alltag in Kolumbien

28. Januar 2007

Kolumbien gehört zu den Ländern mit der höchsten Mordrate bei Journalisten. Trotzdem gibt es viele Menschen, die dieser Gefahr trotzen. Der Journalist Peter Schumacher arbeitete längere Zeit im Krisengebiet.

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Gefangene in einem Lager der milititanten Guerilla-Gruppe FARC, Foto: AP
Unsicherheit durch MilizengruppenBild: AP

Peter Schumacher kennt das Leben als Journalist in Kolumbien, denn er war selbst einer von ihnen. Er verbrachte ein Jahr seines Journalistik-Studiums in Bogotá. Dort arbeitete als freier Journalist für deutsche Medien und schrieb zusammen mit einem kolumbianischen Journalisten ein Buch. Heute ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Trier.

DW-WORLD.DE: Für Journalisten ist Kolumbien ein Risikogebiet. Viele Berichterstatter werden bedroht, manche entführt, nicht wenige müssen ins Exil. Wie erging es Ihnen als freier Journalist in Kolumbien?

Peter Schumacher: Es sind eher die kolumbianischen Journalisten, die der Gewalt und Unterdrückung ausgesetzt sind. Es gab natürlich Momente, in denen man merkte, dass journalistische Arbeit in Kolumbien ganz anders funktioniert als in Deutschland. Ein kolumbianischer Kollege bekam fast täglich Drohanrufe und Morddrohungen. Er musste deshalb ins Exil. Es wurden starke Einschüchterungskampagnen betrieben. Journalismus hat in Kolumbien viel mehr mit der eigenen Existenz zu tun als in Deutschland.

Organisationen wie "Medios para la Paz" kritisieren eine Parteilichkeit und Selbstzensur der Journalisten vor Ort. Welche Ursachen hat dieses Phänomen Ihrer Meinung nach?

Kolumbianische Journalisten überlegen sich genau, unter welchen Einflüssen sie stehen. In vielen kleinen Städten und Provinzen ist die Sicherheitslage sehr angespannt. Für Journalisten in diesen Gebieten ist es ratsam und natürlich, dass sie über bestimmte Themen besser nicht schreiben, um sich nicht selbst in Gefahr zu bringen. Das Problem ist demnach nicht, dass die Menschen eine Position einnehmen, sondern dass sie die heiklen Themen vermeiden. Sie betreiben also eine Art Selbstzensur, um sich selbst zu schützen.

Die Medien in Kolumbien dienen oft dazu, die Interessen der jeweiligen Parteien zu vertreten. Sind Medien und Journalisten Instrumente der jeweiligen Akteure aus Politik und Wirtschaft?

Peter Schumacher, Bild: privat
Peter Schumacher, Medienwissenschaftlicher der Uni Trier

Die kolumbianischen Medien sind alle privatwirtschaftlich organisiert. Wirtschaftliche Interessen sind häufig mit politischen Themen gekoppelt, Politik und Medien stark verknüpft. Einige Politiker sind Mitherausgeber von Tageszeitungen. Journalisten kommen teilweise aus Politikerfamilien, oder umgekehrt starten Journalisten politische Karrieren. Deshalb kommt es in Kolumbien durchaus vor, dass die Medien zum Instrument politischer Interessen werden.

Reporter ohne Grenzen, Amnesty International und andere Organisationen fordern, dass die Medien besser geschützt werden. Was kann man gegen die stetige Bedrohung gegenüber Journalisten tun?

Wenn ein Journalist irgendwo in der Provinz bedroht wird, dann bekommt das normalerweise niemand mit. Aber durch das Netzwerk dieser Organisationen wird internationale Aufmerksamkeit zumindest auf prominente Fälle gelenkt. Journalistenschutz-Programme des Innenministeriums hingegen scheinen wenig zu bringen. Zwar bieten sie besonders gefährdeten Journalisten Polizeischutz, doch wenn eine Organisation in Kolumbien beschließt, jemanden umzubringen, dann schafft sie es auch. Dann nutzt auch das Schutzprogramm der Regierung nichts. Die Fälle öffentlich zu machen, scheint langfristig die bessere Kontrolle und Präventionsmaßnahme gegen die Bedrohungen zu sein.

Der Krieg in Kolumbien dauert nun schon mehr als 40 Jahre an. Ist der kolumbianische Konflikt zu einem Alltagsthema geworden, bei dem viele nur noch mit einem ratlosen Schulterzucken reagieren und über das es sich nicht mehr zu berichten lohnt?

Es ist ein langer und zäher Konflikt, der sich über mehrere Jahrzehnte zieht und der auch nur noch schwer zu erklären ist. In Kolumbien werden jährlich tausende Zivilisten Opfer des Krieges. Spektakuläre Fälle wie die Entführung der Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt führen zu internationaler Aufmerksamkeit und werden auch in deutschen Medien behandelt. Doch vielen anderen Menschenrechtsverletzungen und Morden, die täglich in Kolumbien geschehen, fehlt offenbar leider der Nachrichtenwert.

Angenommen, die Journalisten könnten frei berichten, ohne Zensur und erzwungene Parteilichkeit: Können Medien überhaupt zu einer Lösung des Konfliktes beitragen?

Es ist sehr wichtig, dass berichtet wird, damit auch im Land ein Bewusstsein entsteht, was tatsächlich geschieht. Sie können in Kolumbien in den Großstädten leben, ohne dass sie tatsächlich einen Einblick haben, wie radikal anders das Leben in den Provinzen ist. Man kann den Krieg also sehr gut ausblenden, wenn man zur Oberschicht Kolumbiens gehört oder als Tourist die Großstädte besucht. Deswegen ist es für das Funktionieren und die Entwicklung der kolumbianischen Gesellschaft wichtig, dass die Medien auch an den heiklen Themen dranbleiben und so der Öffentlichkeit durch Berichterstattung die Augen öffnen.

Das Interview führte Claudia Becker, Studiengang Online-Journalismus, Hochschule Darmstadt