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Bestseller mit eigenem Klang

19. Dezember 2010

Daniel Kehlmann gilt als Superstar der deutschen Literaturszene. Sein Roman "Die Vermessung der Welt" wurde in 40 Sprachen übersetzt, unter anderem ins Griechische. Dafür zuständig war der Übersetzer Konstantinos Kosmas.

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Der Übersetzer Konstantinos Kosmas (Foto: DW / Sabine Oelze)
Konstantinos KosmasBild: Sabine Oelze

DW-WORLD.DE: "Die Vermessung der Welt" ist einer der meistverkauften deutschsprachigen Romane der Gegenwart. Was hat Sie als Übersetzer an dem Buch gereizt?

Konstantinos Kosmas: In diesem Roman hat man alles, was man als Leser gerne in einem Buch hat. Es ist einerseits sehr anspruchsvoll, man kann sehr viel Stoff und sehr viele Interpretationsmöglichkeiten finden. Sehr viele Anspielungen und Verweise quer durch die Literaturgeschichte und die Geschichte an sich. Andererseits ist es ein Buch, das sich gut liest. Ein sehr guter Humor, sehr unterschwelliger Humor teilweise und das ist eine gute Herausforderung für einen Übersetzer. Denn es gibt sehr viele Fallen, sehr viele sogenannte "falsche Freunde" und Wortspiele. Es ist nicht gerade einfach für einen Übersetzer. Aber wenn ein Text keine Schwierigkeit bereitet, findet man ihn auch schnell langweilig.

Wie schwer ist es denn, Humor zu übersetzen? Herr Kehlmann hat zwar auf der einen Seite eine ganz klare Sprache, auf der anderen Seite ist sie aber von Ironie durchzogen. Da könnte ich mir schon vorstellen, dass es eine "harte Nuss" ist für einen Übersetzer.

Buchcover Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt (Rowohlt)

Ja, das stimmt und da muss man wirklich aus dem Text herausgehen. Das tue ich sowieso als Übersetzer, vor allem wenn es Bilder gibt oder eben Humor. Man liest den Satz oder die Seite. Man macht die Augen zu und versucht, die Szene im Kopf zu wiederholen. Und die muss man dann auf das Papier setzen, in die eigene Sprache. So ähnlich ist es mit dem Humor. Da muss man erst mal verstehen, worum es geht. Warum muss der deutsche Leser lachen? Was ist dieses Unverständliche? Was stößt gegeneinander? Und wenn man das findet, dann muss man das eben interpretieren in die eigene Sprache. Selten kann man einen Witz wörtlich übersetzen. Den muss man wirklich frei erzählen, noch einmal in der eigenen Sprache.

Wann ist für Sie eine Übersetzung ideal? Eine "eins zu eins Übersetzung", könnte ich mir vorstellen, gibt es wahrscheinlich nicht. Man muss immer in die andere Kultur übersetzen. Also was ist für Sie als Übersetzer eine ideale Übersetzung?

Es gibt viele Voraussetzungen. Eine ist zum Beispiel auch der Klang. Da muss man als Übersetzer laut lesen, sowohl den Originaltext als auch dann die eigene Übersetzung. Und zwar mehrmals, um zu sehen, ob es nicht stockt. Dass der Text tatsächlich fließt in der eigenen Sprache. Sehr hilfreich sind auch Lesungen. Man beobachtet die Reaktion des Publikums. Man sieht dann Sachen, die man alleine im Text nicht gesehen hätte. Die Diskussion mit dem Autor. Das alles tut man, um Stellen zu interpretieren. Natürlich gibt es keine eins zu eins Übersetzung. Das wäre dann auch fatal.

Wie viel Freiheit darf sich ein Übersetzer denn nehmen?

Je nach Stelle. Es gibt Stellen, die so klar und normal sind, da kann man natürlich nicht aus dem Text hinaus. Aber es gibt auch Stellen, Szenen, kleine Gedichte, Liedchen, da nehme ich mir Freiheiten und übersetze frei. Im besten Fall fischt man zwei, drei Wörter, die man unbedingt auch wiederfinden sollte. Aber den Rest kann man vielleicht auch umdichten. Das ist ja der Sinn auch des Übersetzers.

Bestseller-Autor Daniel Kehlmann mit seinen Übersetzern Juliette Aubert und Konstantinos Kosmas im Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln (Foto: DW / Sabine Oelze)
Daniel Kehlmann mit seinen Übersetzern Konstantinos Kosmas und Juliette AubertBild: Sabine Oelze

Wie gut lernt man denn den Autor kennen? Oder wie eng war die Zusammenarbeit mit Daniel Kehlmann? Hat er Ihnen geholfen, über solche kulturellen Hindernisse hinweg zu kommen?

Da versucht man eigentlich, den Autor möglichst wenige Sachen zu fragen. Es gibt aber einige Stellen, da hatte ich kein genaues Bild, aber Kehlmann sagte, das wisse er auch nicht so genau. Das habe er in den Quellen so gefunden. Er wisse auch nicht, wie das Gerät damals ausgesehen habe. Als Übersetzer muss man das alles wissen. Das Seltsame ist, man versteht sehr vieles automatisch.

Irgendwann kennt man den Text zu gut. Das ist ein bischen so, wie es im Mittelalter war. Damals gab es kein Copyright. Der Text kursierte unter den Menschen. Man wusste nicht unbedingt, wer der Autor war, weil der Text irgendwie ein Gemeingut war. Und das passiert dem Übersetzer, wahrscheinlich den Lesern auch, aber dem Übersetzer viel öfter und viel stärker. Der Text wird einem irgendwann zu eigen und man hat das Gefühl, das ist auch mein Text. Das ist eine seltsame Beziehung.


Das Gespräch führte Sabine Oelze
Redaktion: Gabriela Schaaf