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Politik

"Palästinenser wollen Versöhnung"

Uta Steinwehr
18. September 2017

Die Hamas hat der rivalisierenden Fatah angeboten, die Macht im Gazastreifen abzugeben. Im DW-Interview bewertet Bettina Marx, Büroleiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah, das Angebot vorsichtig optimistisch.

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Symbolbild Palästinenser Versöhnung Hamas und Fatah
Bild: Getty Images/AFP/A. Momani

Deutsche Welle: Die Fatah und die Hamas sind in den vergangenen zehn Jahren wiederholt daran gescheitert, untereinander Frieden zu schließen. Wie sieht die Perspektive dieses Mal aus?

Bettina Marx: Es ist wirklich schwer zu sagen. Die Palästinenser im Gazastreifen und auch hier im Westjordanland sind sehr skeptisch. Die meisten glauben, es wird wieder nichts. Ich selbst bin ein bisschen optimistischer, denn die Hamas hat sich in eine Sackgasse manövriert. Mahmud Abbas, der Präsident der Autonomiebehörde (im Westjordanland und Vorsitzender der Fatah, Anm. d. Red.), hat auf die Hamas im Gazastreifen in den letzten Monaten sehr heftigen Druck ausgeübt und ihnen im wahrsten Sinne des Wortes den Strom und das Wasser abgedreht. Ich habe den Eindruck, dass zumindest die Menschen im Gazastreifen wirklich erschöpft sind. Irgendetwas muss passieren und deswegen bin ich ein bisschen optimistisch.

Auf den ersten Blick wirkt es so, als wenn die Hamas in ihrem Angebot nur Zugeständnisse macht und keine eigenen Forderungen stellt. Sie scheint sehr stark unter Druck zu stehen. Hat die Hamas noch die Unterstützung der Bevölkerung in Gaza?

Bettina Marx - Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah Westjordanland
Bettina Marx, Heinrich-Böll-Stiftung in RamallahBild: Heinrich-Böll-Stiftung.

Es gibt Umfragen, die sagen, die Hamas würde wieder die Wahl gewinnen, wenn gewählt würde und es gibt Umfragen, die genau das Gegenteil sagen. Es ist sehr schwer, dazu klare Aussagen zu bekommen. Im Gazastreifen herrscht keine Meinungsfreiheit. Meine Einschätzung, auch aus persönlichen Gesprächen, ist, dass die Hamas sehr stark kritisiert wird, weil sie in den letzten Jahren sehr viel Korruption ausgebildet hat und weil es denjenigen, die in dem Hamas-System an der Macht sind, vergleichsweise gut geht, während es den zwei Millionen Menschen immer schlechter geht. Die Leute, die vorher kleine Firmen oder mittelständische Unternehmen hatten, mussten diese zumachen. Jetzt sitzt überall die Hamas an den Hebeln. Darüber sind die Menschen empört. Insofern habe ich wirklich Zweifel, dass die Hamas im Gazastreifen noch die Unterstützung hat.

Ganz anders sieht es im Westjordanland aus. Hier steht die Autonomiebehörde unter Druck. Ihr wird von der Bevölkerung Korruption vorgeworfen. Ihr wird außerdem vorgeworfen, dass sie immer autoritärer herrscht, dass sie die Meinungs- und Bewegungsfreiheit unterdrückt, dass sie - zulasten der Palästinenser - im Sicherheitsbereich mit Israel kooperiert. Es ist durchaus möglich, dass im Westjordanland die Zustimmung zur Hamas bei Wahlen wesentlich höher ausfallen würde.

Die Hamas hat in ihrem Versöhnungsangebot einer gemeinsamen Wahl zugestimmt. Spekuliert sie darauf, dass sie durch eine Wahl mehr Legitimation für ihren Machtanspruch bekommt?

Das ist bestimmt ein Grund. Allerdings bin ich skeptisch, ob Wahlen stattfinden können. Da wird die Rechnung ohne den Wirt gemacht, und der Wirt ist hier Israel. Israel hat überhaupt kein Interesse daran, dass die Hamas im Westjordanland an die Macht kommt. Wenn sich im Vorlauf zu einer solchen Wahl herausstellen sollte, dass die Hamas eine große Zustimmung hat, dann werden diese Wahlen nicht stattfinden. Das wird Israel auf jeden Fall verhindern. Zwar müssten Wahlen stattfinden, da beide Palästinenser-Regierungen keinerlei Legitimation mehr haben. Aber praktisch sehe ich das in absehbarer Zeit nicht.

Ein Mädchen spült bei Kerzenlicht ab (Foto: Reuters)
Mit israelischer Hilfe hat Mahmud Abbas die Stromlieferung in den Gazastreifen begrenztBild: REUTERS

Die Hamas gilt in Israel als Terrororganisation. Wie wurde ihre Ankündigung in Israel aufgefasst?

Es wurde mit sehr großer Skepsis und ein bisschen Unruhe aufgenommen. Es kann der israelischen Regierung nicht behagen, denn sie strebt das Gegenteil an: Die israelische Regierung möchte nicht, dass sich die Palästinenser einigen und versöhnen. Wann immer es ernst zu nehmende Bestrebungen gab, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden und die Spaltung zu überwinden, dann hat Israel dazwischengefunkt und dafür gesorgt, dass das nicht zustande kommt.

Es ist deutlich, dass Israel einen ganz anderen Weg geht. Man möchte die Spaltung eher zementieren, als sie zu überwinden. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat erklärt, dass er überhaupt nicht daran denkt, die Siedlungspolitik im Westjordanland zu stoppen oder die Siedlungen zu räumen. Den Gazastreifen dagegen möchte Israel gerne loswerden. Man versucht ihn, in die Verantwortung von Ägypten abzuschieben. Israel wird alles tun, um eine Versöhnung zwischen den beiden Lagern zu verhindern. 

Eine wichtige Person in dem ganzen Prozess ist Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Zum Zeitpunkt des Angebots der Hamas befand er sich in den USA bei den Vereinten Nationen und er wird auch mit US-Präsident Donald Trump sprechen. Wie in Israel gilt die Hamas in den USA als Terrororganisation. Der Palästinenserpräsident hat mit Israel teils zusammengearbeitet: Auf Abbas' Bitte hat Israel die Stromlieferungen in den Gazastreifen eingeschränkt. Zwar hat Abbas in einer Stellungnahme den Schritt der Hamas begrüßt, aber kann er sich vor diesem Hintergrund Verhandlungen mit der Hamas momentan überhaupt erlauben?

Das ist genau die Krux. Abbas ist durch die Ankündigung der Hamas in eine sehr schwierige Situation gekommen. Gerade jetzt, während er in den USA ist, kann er das überhaupt nicht gebrauchen. Es gibt nur ganz vorsichtige Stellungnahmen aus seinem Umfeld in Ramallah. Ich gehe nicht davon aus, dass er sich jetzt dazu weitergehend äußern wird. Das könnte ihm aus den Gründen, die Sie genannt haben, auf die Füße fallen. Die Amerikaner oder Israelis könnten sagen, er sei bereit, mit Terroristen zu verhandeln und dadurch überhaupt kein Partner.

Mahmud Abbas und Donald Trump schütteln sich am Rednerpult die Hände (Foto: Reuters)
Bereits im Mai hatten sich Palästinenser-Präsident Abbas und US-Präsident Trump in Washington getroffen Bild: Reuters/C. Barria

Auf der anderen Seite steht Abbas erheblich unter Druck. Die palästinensische Öffentlichkeit will diese Versöhnung. Es wird immer wieder von ihm verlangt, dass er für ein Ende dieser Spaltung sorgt. Die Schritte, die er gegen die Hamas im Gazastreifen unternommen hat, wie die eingeschränkten Stromlieferungen und die Kürzungen der Gehälter für öffentliche Beamte, sind in der Öffentlichkeit sehr schlecht angekommen - nicht nur bei denen, die davon betroffen sind. Die Menschen sagen, diese Schritte führen dazu, dass die Spaltung weiter vertieft wird.

Die Spaltung von Fatah und Hamas beruht auch auf grundlegend verschiedenen Einstellungen: Die radikal-islamische Hamas setzt auf den bewaffneten Widerstand gegen Israel und erhebt einen Anspruch auf das gesamte historische Palästina. Die Fatah dagegen will Friedensverhandlungen mit Israel und eine Zweistaatenlösung. Wie kann auf dieser Basis eine Versöhnung funktionieren?

So grundlegend verschieden sind die Einstellungen inzwischen nicht mehr. Es gibt auch in der Hamas einen pragmatischen Flügel, der eher dazu bereit ist, mit der Fatah zu kooperieren und die eigenen Ansprüche zurückzustellen. Die Hamas hat ein Papier veröffentlicht, indem sie sich bereit erklärt, einen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 zu akzeptieren. (Die Grenzen vor dem Ausbruch des Sechstagekrieges, Anm. d. Red.) 

Auch die Hamas steht unter dem Druck der eigenen Bevölkerung. Die Menschen im Gazastreifen möchten wieder Bewegungsfreiheit genießen. Sie sind seit zehn Jahren komplett eingesperrt und kommen nicht raus. Selbst für Kranke ist es ausgesprochen schwierig, eine Genehmigung zu bekommen, um für eine Behandlung den Gazastreifen zu verlassen. Die Menschen möchten eine Zukunft für ihre Kinder haben. Die Arbeitslosigkeit liegt bei über 60 Prozent, die Armutsrate bei über 80 Prozent. Das sind Fakten, unter denen auch der Zuspruch zur Hamas leidet. Die Hamas wird sich bewegen müssen und das sehe ich schon.

Bewaffnete Milizionäre auf einer Straße, daneben Kinder (Foto: Getty Images)
Was passiert mit den bewaffneten Milizen? In dem Versöhnungsangebot der Hamas ist davon nicht die RedeBild: Getty Images/AFP/S. Khatib

Was sind bei dem Versöhnungsversuch die größten Knackpunkte, an denen er scheitern könnte?

Es kann am besagten internationalen und israelischen Druck scheitern, weil es nicht gewünscht ist, dass die Fatah und die Hamas zu einer Einigung kommen. Es gibt aber auch eine Menge hausgemachter Probleme: Was soll mit den bewaffneten Kräften passieren? Das ist völlig unklar. Wir haben im Gazastreifen nicht nur die bewaffneten Kräfte der Hamas, sondern auch kleinere Organisationen und Splittergruppen. Die Autonomiebehörde in Ramallah hat immer gesagt, nur die Regierung kann die Oberherrschaft über die Sicherheitskräfte haben, es kann keine Milizen geben. Integriert man die Milizen in die Sicherheitskräfte? Werden sie entwaffnet? Das alles müsste verhandelt werden.

Es kann noch an einem weiteren Punkt scheitern: Inzwischen hat die Hamas im Gazastreifen eine Führungsschicht herausgebildet, die von der Situation profitiert und der es einigermaßen gut geht. Ob diese Menschen bereit sind, ohne Auseinandersetzungen auf ihre Privilegien zu verzichten, das ist fraglich.

Auf diesem Weg gibt es massenhaft Fallstricke - vielleicht sollte ich meinen Optimismus revidieren -, aber dennoch glaube ich, dass dieser Versuch eine andere Qualität hat, als bisherige.

Bettina Marx leitet seit 2015 das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah im Westjordanland. Zuvor war sie Redakteurin der Deutsche Welle und arbeitete als Korrespondentin im ARD-Hörfunkstudio in Tel Aviv.

Das Interview führte Uta Steinwehr.