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Bewohner der ehemaligen polnischen Ostgebiete kämpfen um Entschädigung

16. August 2002

- Ihre Forderungen betragen zehn Milliarden Zloty und stellen Polens Finanzminister vor Probleme

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Warschau, 15.8.2002, NEWSWEEK POLSKA, poln.

Seit einem halben Jahrhundert kämpfen die ehemaligen Bewohner der früheren polnischen Ostgebiete um Entschädigungen für ihre verlorenen Güter. Wer ist aber daran überhaupt interessiert, wie viel an Vermögen Polen hinter dem Fluss Bug nach dem Zweiten Weltkrieg verloren hat? Die Historiker? Ja, aber auch die mehrere tausend aus dem Osten vertriebenen Familien und die polnischen Staatsbeamten, die den Haushalt Polens vor den Entschädigungsansprüchen der zwangsausgesiedelten Bürger, die mehrere Milliarden Zloty beanspruchen, schützen möchten.

Am 1.8.2002 haben sich im Gebäude des Bezirksgerichtes in Gdansk (Danzig) vor dem Saal 322 viele Reporter und Journalisten versammelt. (...) Der Grund dafür war die Verhandlung der Klage von Andrzej Czerniewski, dem trotz einer rechtmäßigen Entscheidung der Selbstverwaltungsbehörde aus dem Jahr 1999 keine Entschädigung für seine verlorenen Güter im Osten vom polnischen Staat bezahlt wurde. Die ihm zugesprochene Summe beträgt 420 000 Zloty (etwa 105 000 Euro). Andrzej Czerniewski reichte also eine Klage gegen den polnischen Staat beim Gericht ein.

Wenn das Gericht entscheiden sollte, dass dem Kläger bares Geld ausgezahlt werden muss, so würde dies ein Präzendensfall werden, dem dann eine Prozesslawine gegen die Staatskasse folgen würde. Der Gesamtwert der offenen Forderungen der ehemaligen Bewohner der polnischen Ostgebiete wird vom Gesamtpolnischen Verband der Bewohner der Ehemaligen Polnischen Ostegebiete und Gläubiger des Staates auf zehn Milliarden Zloty (etwa 2,5 Milliarden Euro) geschätzt. Das Gericht in Danzig will noch diese Woche das Urteil fällen. (...)

Den polnischen Gerichten liegen nach Schätzungen von Andrzej Korzeniowski, dem Vorsitzenden des Gesamtpolnischen Verbandes der Bewohner der Ehemaligen Polnischen Ostgebiete ... schon über 100 solche Klagen vor. Nach einer positiven Entscheidung des Gerichtes in Gdansk werden auch weitere folgen. Auch beim Europäischen Gerichtshof in Straßburg sammeln sich ähnliche Klagen. Dort wurde vor kurzem ein Urteil verkündet, das den polnischen Staat zur Zahlung aufgrund der Verletzung der Eigentumsrechte verpflichtet.

Von der formellen Seite her ist die Lage der ehemaligen Bewohner der früheren polnischen Ostgebiete ganz klar: Ihnen steht zweifellos eine Entschädigung für das verlorene Vermögen zu. Noch 1944 hat das Polnische Komitee für die Nationale Befreiung ein Abkommen mit drei sowjetischen Republiken, d.h. der ukrainischen, litauischen und weißrussischen Republik geschlossen, in dem sich der polnische Staat verpflichtet, die zwangsausgesiedelten ehemaligen Bewohner der Ostgebiete Polens zu entschädigen. 1946 wurde von Präsident Bierut ein Dekret erlassen, das besagte, dass die Entschädigung nicht in Geld ausbezahlt werden soll, sondern dass die Betroffenen vom Staat Immobilien erhalten können, die dem Wert ihrer verlorenen Güter im Osten entsprechen. "Das war jedoch lediglich die Theorie. Nur einigen wenigen von uns wurde in der Zeit der Volksrepublik Polen angeboten, Grund und Boden oder eine Wohnung zu kaufen", sagt Andrzej Korzeniowski.

Seit Anfang der neunziger Jahre versuchen die Zwangsausgesiedelten ihre Lage zu ändern. 1997 wurden vom Sejm Gesetze verabschiedet, die ihnen ermöglichen, eine amtlich bestätigte Einschätzung des Wertes ihres verlorenen Vermögens zu erhalten. Der dort angegeben Wert wird dann durch eine Garantie des Staates bestätigt, und sie können sich theoretisch an Ausschreibungen beteiligen, bei denen staatliche Institutionen ihre Immobilien zum Verkauf anbieten. Das ist aber auch nur die Theorie. 1990 wurde nämlich ein Teil des staatlichen Vermögens, vor allem Grundstücke an die Selbstverwaltung übertragen. Sie wurden somit für die Zwangsausgesiedelten aus dem Osten unerreichbar. (Sta)