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Bezahlbare Hilfe aus Osteuropa

4. September 2010

Rund 150.000 Haushaltshilfen aus Osteuropa kümmern sich um alte Menschen in Deutschland. Sie stehen rund um die Uhr zur Verfügung. Für diese Arbeit finden sich keine deutschen Pflegekräfte.

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Alte Menschen brauchen zu Hause oft Hilfe - und nicht nur das: Eine Pflegerin hält einer alten Frau die Hand (Foto: dpa)
Alte Menschen brauchen zu Hause oft Hilfe - und nicht nur dasBild: picture alliance/dpa

Am Küchentisch sitzt ein altes Ehepaar. Marta schöpft Broccolisuppe in ihre Teller, reicht beiden Brot und etwas zu trinken. Freundlich fragt sie die Alten nach weiteren Wünschen. Marta ist Mitte 40 und kommt aus Ungarn. Sie macht alles hier. Sie kocht, wäscht, putzt, kauft ein und bringt das alte Ehepaar ins Bett. Rund um die Uhr steht sie den beiden 90-Jährigen in Bonn zur Verfügung. Ein harter Job, gibt Marta selbst zu. Zwölf mal in der Nacht musste der alte Mann auf die Toilette. Jedes mal habe ihn Marta dabei begleiten müssen. "Ich dachte, ich kann am Nachmittag ein paar Stunden schlafen, aber am Nachmittag war die Situation genauso", erzählt die Ungarin.

150.000 Haushaltshilfen aus Osteuropa in Deutschland

Seit einem Jahr kümmert sich Marta um das Ehepaar. Sie ist keine Pflegefachkraft. Sie ist studierte Sozialpädagogin. In Deutschland arbeitet Marta als Haushaltshilfe. Pflegerische Tätigkeiten darf sie nicht ausüben. Deshalb kommt jeden Tag eine deutsche Pflegerin vorbei, um Blutzucker zu messen, Insulin zu spritzen und Medikamente zu verabreichen. So ist es in vielen Pflegefällen geregelt.

Bis zu 150.000 Frauen aus Osteuropa kümmern sich derzeit um alte Menschen in Deutschland. Nur wenige von ihnen arbeiten legal, weiß Prof. Michael Isfort vom Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung. Sie seien als selbstständige Haushaltshilfen in Deutschland tätig oder würden über die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung der Bundesagentur für Arbeit vermittelt. In dem Fall sei die Familie Arbeitgeber der Beschäftigten.

Eine legale Haushaltshilfe ist sozialversicherungspflichtig und hat einen Arbeitsvertrag über 38,5 Stunden in der Woche. Sie hat Anspruch auf Urlaub und auf klare Ruhephasen. "Was ist, wenn jemand in der Nacht häufig der Hilfe bedarf? Ist die Ruhephase noch gewährleistet, hat derjenige tatsächlich 38,5 Stunden?" fragt Pflegeforscher Isfort skeptisch und spricht damit einen kritischen, weitgehend ungelösten Punkt an. Haushaltshilfen wie Marta erhalten auch nicht den seit Anfang August 2010 geltenden Mindestlohn für die Pflegebranche, der nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz auch Fachkräften aus dem Ausland gezahlt werden muss.

Die Anstellung von Haushaltshilfen ist zudem mit viel Bürokratie verbunden. Die Familie handelt hier wie ein Arbeitgeber. Sie stellt komplizierte Anträge, schaltet Ämter ein oder erstellt die Steuererklärung.

Hauptsache man spricht Deutsch

Der Weg, für den sich Familien häufig entscheiden, ist weniger aufwändig. Hierbei ist die Hilftskraft Angestellte einer Firma - mit Sitz im Heimatland der Beschäftigten - und wird vorübergehend nach Deutschland entsandt. So wie Marta. In Ungarn gebe es viele Firmen, die eine derartige Arbeit in Deutschland anbieten. Marta habe ihre Firma im Internet gefunden. Die Firma stellte sie an. Das ging schnell und unkompliziert. Entscheidend bei der Anstellung sei die Frage gewesen, ob sie Deutsch spreche und wie gut, sagt Marta und schmunzelt. "Nach dem kurzen Sprachtest sagte mir eine Frau, wenn du möchtest, kannst du nächste Woche nach Deutschland fahren."

Eine Betreuung rund um die Uhr kostet Kraft und Geld: Eine alte Frau hält den Kopf ihres Krückstocks fest (Foto: dpa)
Eine Betreuung rund um die Uhr kostet Kraft und GeldBild: picture-alliance/ dpa

Das alte Ehepaar aus Bonn brauchte gerade dringend Hilfe. Jemand musste rund um die Uhr für sie da sein. Ihre Tochter Ruth kam nicht in Frage. Sie hat drei Kinder und einen Ganztagsjob. In ein Pflegeheim wollten ihre Eltern nicht. Tochter Ruth wusste: Für diese Arbeit findet sich keine deutsche Pflegekraft, die bezahlbar wäre. Die einzige Alternative war also eine Frau aus Osteuropa, die keine ausgebildete Pflegerin ist, aber im Haushalt anpacken kann. Eine deutsche Agentur hat Marta an die Familie vermittelt.

Die Agentur arbeitet mit der ungarischen Firma zusammen. Innerhalb von zehn Tagen war Marta in Bonn. Der bürokratische Aufwand war gering. Die Hilfe aus Ungarn zahlt Steuern und Sozialabgaben in ihrem Heimatland.

Oft einzige Alternative zum Pflegeheim

1880 Euro zahlt die Familie an die ungarische Firma. Für die Haushaltshilfe fiele nur wenig ab, sagt Ruth verärgert. "Wie sich das genau aufteilt, weiß ich nicht. Ein Teil sind die Sozialabgaben in Ungarn. Ein Teil ist der Profit der ungarischen Firma und ein Teil der Profit der deutschen Firma." Marta bekommt nur die Hälfte dieses Geldes, 900 Euro im Monat. Die Arbeitszeiten seien im Vertrag nicht geregelt. "Die Hilfskraft hat pro Woche Anspruch auf einen ganzen freien oder zwei halbe freie Tage", so steht es im Vertrag, sagt Ruth.

Angesichts der Kosten für ausgebildete Pflegekräfte sind die Frauen aus Osteuropa, die als Hilfskräfte kommen, oft die einzige Hoffnung für Angehörige, die einen Pflegefall zu versorgen haben. Für viele alte Menschen sind sie die einzige Alternative zum Pflegeheim. Tragende Säule des deutschen Pflegedienstes - so nennt sie der Pflegeforscher Isfort. Derzeit könne Deutschland die Versorgung, die durch die Frauen aus Osteuropa stabilisiert würde, mit dem professionellen Pflegesystem allein nicht abdecken. "Momentan hätten wir keine tragfähige Lösung, wenn die Frauen aus Osteuropa plötzlich alle zu Hause blieben. Das wäre für Deutschland ganz schwierig", resümiert der Pflegeforscher Isfort.

Autor: Justyna Bronska
Redaktion: Klaudia Prevezanos