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Politik

Big Brother in Berlin

Maximiliane Koschyk
31. Juli 2017

An einem Berliner Großbahnhof wird ab August die biometrische Gesichtserkennung mit Überwachungskameras getestet. Was man sich davon verspricht und warum es umstritten ist: die wichtigsten Informationen im Überblick.

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Testlauf zur Gesichtserkennung durch Überwachungskameras
Bild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

Wer wird überwacht - und von wem?

Bei der Testreihe am Berliner Bahnhof Südkreuz soll die Gesichtserkennung mit Hilfe von Überwachungskameras nur an ausgesuchten Probanden getestet werden. Die deutsche Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und das Bundesinnenministerium führen die Testreihe gemeinsam mit der Deutschen Bahn AG, dem Betreiber des Bahnhofs durch. Dafür haben über 250 Personen freiwillig ihre Namen und zwei Fotos ihres Gesichts in einer Datenbank speichern lassen, die einen Abgleich mit den Kamerabildern zulassen. 

Wie funktioniert die Überwachungstechnik?

Für die Versuchsreihe haben die Behörden drei gesonderte Kameras auf dem Bahnhofsgelände aufgebaut, die einem bestimmten Türbereich und eine einzelne Rolltreppe auf dem Bahnhofsgelände filmen. Das zu testende Computerprogramm vergleicht die Videoaufnahmen der drei Kameras mit den gespeicherten Fotos in der Datenbank. Die Teilnehmer sind meist Pendler und sollen auf ihrem Weg zur Arbeit die entsprechenden Türen und die Rolltreppe nutzen. Sie tragen dabei einen kleinen Sender. Die Computer im Bahnhof können so kontrollieren, wenn der Proband auftaucht und ob das Programm die Gesichter eigenständig erkennt.

Sicherheit durch Videoanalyse

Warum muss die Überwachung erst getestet werden?

Die Bundespolizei begründet den Test mit der Abwehr von Terroristen und dem Kampf gegen Kriminalität. Sie erhofft sich, durch die neue Technik Straftaten und Gefahrensituationen im Vorfeld erkennen und vermeiden zu können. Aber noch ist die Technik nicht im Alltag erprobt. "Wir wollen das unter normalen Bedingungen testen", sagt ein Sprecher der Bundespolizei. "Die Tester können auch einen Hut oder Fahrradhelm tragen oder etwas kleiner sein und in der Menge verschwinden."

Sicherheitsexperten kritisieren das hohe Fehlerpotential des Programms. Sie rechnen vor, dass bei einer Fehlerquote von eins zu einer Millionen bei den rund drei Millionen Fahrgästen im gesamten Berliner Verkehrsnetz bereits mit drei irrtümlichen Polizeieinsätzen zu rechnen sei - pro Tag.

Was sagen die Datenschützer zu dem Projekt?

Zudem halten Datenschützer den Einsatz dieser biometrischen Gesichtserkennungsprogramme für rechtswidrig. Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff findet den Test zwar akzeptabel, hat aber "grundsätzliche Bedenken" gegen die Technologie: "Sollten derartige Systeme einmal in Echtbetrieb gehen, wäre dies ein erheblicher Grundrechtseingriff."

Die Freiheit, sich anonym in der Öffentlichkeit zu bewegen, könne zerstört werden, findet auch der SPD-Politiker Christopher Lauer, Experte für Internet und Datenschutz. Er kritisiert: "Der kriminalistische Nutzen ist gleich Null."

Was passiert nach der Testphase?

Die Behörden wollen mit dem Projekt feststellen, ob die Kameras und Computer die Menschen zuverlässig erkennen. Noch ist völlig offen, wie erfolgreich die Technik tatsächlich ist. Aber das Potential, diese Technik weitreichend zu nutzen, ist schon da.

Der Betreiber des Berliner Bahnhofs, die Bahn etwa, baut die Zahl ihrer Kameras "kontinuierlich aus". Rund 6000 überwachen derzeit mehr als 80 Prozent der Fahrgäste bundesweit.

Schweiz - Biometrische Gesichsterkennung zu Sicherheitszwecken
So analysiert ein Programm zur biometrischen Gesichtserkennung Fotos aus DatenbankenBild: picture-alliance/keystone/G. Bally

Für die Berliner S-Bahnlinien allein wurde ein Ausbau der Videoüberwachung für mehrere Millionen Euro angekündigt. Nicht nur an den Bahnhöfen und U-Bahnstationen, auch in den Bahnen und Bussen filmen bereits tausende Kameras den täglichen Verkehrsbetrieb.

Kann das Programm missbraucht werden?

Die deutschen Behörden begründen den Nutzen der Programme mit der Fahndung nach Personen, "von denen eine Gefahr ausgeht oder ausgehen könnte. Diese Personen soll das Programm erkennen und melden".

Doch auch für die Kooperationspartner ist das Projekt nicht ohne Nutzen: Das Unternehmen könnte so versuchen, etwa gegen Graffiti-Künstler vorzugehen, die ihre Fahrzeuge besprühen.

Grundsätzlich gleicht das Programm die Überwachungsvideos nur mit den Fotos ab, die ihm vorgelegt werden: Aktuell sind es Pendler, später sollen es zur Fahndung ausgeschriebene oder mutmaßliche Verdächtige sein.

Diese technische Neutralität birgt aber auch die Gefahr des Missbrauchs, denn theoretisch kann das System mit jedem beliebigen Datensatz gefüttert werden. Für autoritäre Staaten könnten sich hierdurch neben der Zensur im Netz und anderen Überwachungsmethoden neue Möglichkeiten bei der Kontrolle des öffentlichen Lebens ergeben.