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Bilanz der libyschen Revolution

1. September 2009

Khaled Ezz, Libyer und Oppositioneller der ersten Stunde, erzählt von Gewehrsalven, öffentlichen Exekutionen und der enttäuschenden Rolle des Westens.

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Muammar al-Gaddafi
Wohl kaum ein Engel: Libyens Muammar al-GaddafiBild: AP

"So gegen 6 Uhr morgens hörten wir Gewehrsalven," Khaled Ezz (Name von der Redaktion geändert) erinnert sich an die ersten Stunden der Revolution. Der in Deutschland lebende Exil-Libyer war damals 16 Jahre alt. "Es war ziemlich laut … ich bin zum Fenster gegangen… Ich sah viele Militärfahrzeuge, Panzer und Soldaten auf der Straße." Im Radio, erzählt Khaled weiter, lief nur Marschmusik, und ab und zu die Durchsage, dass König Idris gestürzt wurde.

Es war ein Septembermorgen vor 40 Jahren, als in Libyen geputscht wurde. Zusammen mit anderen Militärs entmachtete der Offizier Muammar al-Gaddafi den von der früheren Kolonialmacht Großbritannien unterstützten König. Gaddafis Putsch reihte sich ein in die Bewegung des Panarabismus, die sich für eine gemeinsame politische Linie der arabischen Staaten und eine Stärkung der arabischen Identität einsetzte. Es war eine Revolution ohne Blutvergießen - denn der Rückhalt für den Monarchen Idris I. in der Bevölkerung war schwach.

Ein Land in der Isolation

Muammar al Gaddafi bei einer Ansprache
Seit 40 Jahren regiert in Libyen das MilitärBild: AP

Seit Gaddafi die Macht übernahm hat sich das politische und gesellschaftliche Leben in Libyen stark gewandelt. Aus der früheren Monarchie wurde ein islamisch orientierter, sozialistischer Staat. Unter anderem das Bildungs- und Gesundheitssystem wurden verbessert, zahlreiche Sozialwohnungen gebaut, überwiegend finanziert von den Erdöleinnahmen Libyens. Heute hat Libyen sogar eine der höchsten Einschulungs- und Alphabetisierungsraten im arabischen Raum. Die zentrale Person hinter den Reformen war seit dem Putsch Gaddafi, der bis heute als so genannter Revolutionsführer im politischen System alle Fäden zieht. Gleichzeitig repräsentiert er durch seine übermächtige Rolle aber auch die Schattenseiten der Revolution – Libyen unter Gaddafi ist ein Land in Isolation, wie Isabelle Werenfels von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik erklärt. Seit Jahrzehnten gebe es keinen Fremdsprachenunterricht. Überhaupt ist das Bildungssystem sehr unfrei, und nur auf ideologische Indoktrination ausgerichtet.

Der Oberst ist erbarmungslos

In den 80er Jahren nahmen die Repressionen unter Gaddafi massiv zu. Dabei hatte der Revolutionsführer in seinem Grünen Buch, der ideologischen Grundlage des neuen politischen Systems in Libyen, eine basisdemokratische Gesellschaft versprochen. Tatsächlich wurden Volkskongresse eingerichtet, in denen die Bevölkerung mitreden kann. Doch der Wandel war nur oberflächlich. Immer noch haben Gaddafi und seine Gefährten aus der Revolution das Sagen. Es fehlt an Gewaltenteilung, eine Verfassung gibt es bis heute nicht und Parteien sind verboten. Kritiker des Regimes werden seit dem Putsch vor 40 Jahren erbarmungslos verfolgt. Mit Schrecken erinnert sich Khaled Ezz an die zunehmende Unterdrückung durch das Militär nach dem Putsch, "Da wurden zum Beispiel Studenten auf dem Campus hingerichtet," erzählt er, darunter auch einige seiner Kommilitonen.

Flüchtlinge in Tripolis
Nicht nur Oppositionelle verlassen fluchtartig das LandBild: AP

Er selbst musste 1972, ohne seine Familie, nach Deutschland fliehen und steht heute als Oppositioneller auf einer Todesliste des Gaddafi-Regimes. Doch in jüngster Zeit nimmt die Kritik an Gaddafis Politik auch innerhalb des Regimes zu, vor allem von Seiten seines Sohns Saif al Islam, der ein freieres System fordert. Außenpolitisch und wirtschaftlich hat sich Libyen zunehmend geöffnet. Die Macht Muammar al-Gaddafis wird das nach Einschätzung von Isabelle Werenfels aber nicht mindern.

Gaddafi werde auch in Zukunft eine starke Rolle spielen, meint die Expertin, vor allem sehe sie überhaupt keine Opposition im Land, die stark genug wäre, um daran etwas zu ändern.

Der Westen sieht zu

Und auch die Oppositionellen im Exil sehen keinen grundlegenden Wandel im politischen System Libyens. Dabei sind sie auch enttäuscht von der politischen Linie der europäischen Staaten, die unter anderem wegen Libyens Ölreichtum um gute Beziehungen bemüht sind.

"Gaddafi öffnet sich nach außen, aber nach innen nicht," sagt Khaled Ezz. "Die Unterdrückung ist immer noch groß. Die Europäer im Ausland, die drücken da ein Auge zu. Ihr Hauptaugenmerk ist auf die Wirtschaft gerichtet."

40 Jahre Libysche Revolution: Dahinter stecken viele Reformen, einige soziale Verbesserungen, aber vor allem eins: ein 40 Jahre mit harter Hand herrschender Gaddafi. Der versprochene demokratische Wandel in Libyen hat nie stattgefunden.

Autor: Moritz Schröder

Redaktion: Mahmoud Tawfik