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Jugendweihe

Tillmann Bendikowski8. Juli 2013

Wir stellen jede Woche ein Bild vor und erzählen seine Geschichte. Diesmal gehen wir zurück in das Jahr 1984: In der DDR wird Jugendweihe gefeiert

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Deutsche Demokratische Republik - Biederitz: Jugendweihe - 01.10.1984 (Foto: Ullstein)
Bild: ullstein bild/Volker Döring

Es ist alles da, was die DDR mag: Akkurat gekleidete "Junge Pioniere", die brav den sorgfältig gebundenen Blumenschmuck überreichen, ein knackiger Polit-Slogan "Dem Sozialismus unser Herz und unsere Hand", Vertreter von Partei und Militär – und mittendrin die Jugendlichen als Hoffnung des Sozialismus. Sie stehen an diesem Tag im Mittelpunkt: Sie feiern ihre "Jugendweihe", auf diesem Bild im Oktober 1984 im Örtchen Biederitz nahe Magdeburg. Mit diesem Ritual gelten sie in der DDR nun als aufgenommen in der Erwachsenen-Welt. Und zusätzlich zu Blumenstrauß, Buchgeschenk und anschließender Familienfeier gibt es dazu die förmliche Beförderung – die Jugendlichen werden fortan gesiezt.

Die DDR hat die Idee der Jugendweihe indes nur aufgegriffen und für ihre Belange kopiert. Ursprünglich aus freireligiösen Anfängen am Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, die eine Weihe abseits der etablierten Amtskirchen anstrebt, findet die Idee immer stärker in der Sozialdemokratie eine Heimat. Der Jugendliche tritt nicht nur mehr in die Welt der Erwachsenen ein, sondern in die der politisch bewussten Werktätigen. Und der Jugendweihe-Unterricht ist zugleich eine erste Einweisung in die Idee des Klassenkampfes.

Die Nazis zerschlagen dieses Ritual nach 1933 – und nutzen doch auch in diesem Fall eine gute Tradition zu ihren eigenen schlechten Zwecken: Ab 1940 inszenieren sie für die 14-Jährigen eine "Feier der Verpflichtung der Jugend". Sie soll den Beginn eines neuen Lebensabschnitts in der NS-Gesellschaft bilden – weshalb auch hier der Eid auf den "Führer" nicht fehlen durfte.

Die DDR tritt erst mit Verspätung das Erbe der Jugendweihe an: Erst Mitte der 1950er Jahre wird sie als Bekenntnis zum Sozialismus eingeführt – und wer nicht mitmacht, gilt bald als Staatfeind. Das Ritual ist ein bewusstes Kampfmittel der SED-Kirchenpolitik, die damit die Teilnahme an der kirchlichen Konfirmation zurückdrängen will. Mit Erfolg: Die Jugendweihe wird zu einem wirkungsvollen Instrument der Entkirchlichung. Aber immerhin hat sie ja die DDR überlebt – und im Osten (und in geringerer Zahl auch in Westdeutschland) wird sie weiter gefeiert. Vielleicht ist das ihre Chance, dass sie irgendwann einmal zu ihren freireligiösen Wurzeln zurückfindet – und wieder frei wäre …