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Bildergeschichten: Schön oder schrecklich?

Tillmann Bendikowski8. April 2014

Wir stellen jede Woche ein Bild vor und erzählen seine Geschichte. Diesmal gehen wir zurück in das Jahr 2010: Die Provinz – ein deutsches Streitthema

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Die deutsche Provinz, Gemeinde Pfrönten im Allgäu, 2010
Bild: Ullstein Bild/imagebroker.net/Hans Lippert

Was für ein Anblick: Vor imposanter Bergkulissen liegt sonnenbeschienen ein kleines Dorf, sein leuchtend weißer Kirchturm ist schon von fern zu sehen, und auf den weiten grünen Wiesen grasen friedlich die Kühe. Es handelt sich um eine Aufnahme der Gemeinde Pfrönten im Allgäu aus dem Jahr 2010. Vielen Betrachter wird wohl ganz warm ums Herz angesichts von so viel landschaftlicher Schönheit, aber andere werden eher ein mulmiges Gefühl haben: Ist das nicht tiefste Provinz? Muffig und rückständig? Tatsächlich sind die Deutschen traditionell gespalten, wenn es um "die Provinz" geht. Während die einen sie stets als heile Welt idealisierten, verdammten die anderen sie hartnäckig als Hort der Ewiggestrigen.

Die Liebe zur Natur und die Sympathie für das dörfliche, ländliche Leben hat eine Tradition seit der Romantik (wobei man es gerne bei jenen findet, die nicht zu harter bäuerlicher Arbeit gezwungen waren). Die "Provinz" im heutigen Sinne entsteht aber erst im 19. Jahrhundert im Zuge der Industrialisierung: In einigen Region vollzieht sich der wirtschaftliche Wandel, die Verstädterung und die Anhäufung politischen und kulturellen Kapitals in hohem Tempo und in großem Umfang. Das Ruhrgebiet ist ein solcher ökonomischer Motor der stürmischen Veränderung, Berlin bald der neue, zentrale Orientierungspunkt. Der allermeiste Rest? Provinz.

Was unzeitgemäß, altmodisch oder kleinkariert erscheint, wird nun "provinziell" genannt. Das Urteil trifft die Menschen auf dem flachen Land ebenso wie in den kleinen Städten. Der Großstädter lacht über sie, um sich selbst als Speerspitze der Moderne zu fühlen. Dieser Herablassung steht allerdings auch die Überhöhung des "natürlichen" Lebens auf dem Land gegenüber. Die Nazis haben mit ihrer "Blut und Boden"-Ideologie daran angeknüpft, Agrarromantik und Großstadtfeindschaft gehen bei ihnen eine unheilige Allianz mit dem Rassismus ein.

In den vergangenen Jahrzehnten hat die Provinz eine neue Aufwertung erfahren. Die Umwelt- und Anti-Atomkraftbewegung hat dazu den Weg bereitet, in Zeiten von gesunder Ernährung und nachhaltigen Wirtschaftens schlägt dem Land und seinen Menschen wieder neue Sympathie entgegen. Dabei sind die Lebenswelten noch immer geteilt: Der Landwirt aus dem Allgäu wird das Treiben in Berlin Mitte wohl eher abschrecken. Und die vielzitierten Latte-Macchiato-Mütter in der Metropole hegen wohl kaum den Wunsch, beispielsweise nach Pfrönten zu ziehen. Obwohl? Vielleicht stammen die grasenden Kühe auf dem Foto ja aus Bio-Haltung …