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Biller: "Ich sage den Jungs, was Sache ist."

Adelheid Feilcke, Rick Fulker19. Juni 2013

Als Nachfolger von Johann Sebastian Bach leitet Georg Christoph Biller seit über 20 Jahren den Leipziger Thomanerchor. Der Kantor sprach mit der DW über Bach und musikalische Erziehung.

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Georg Christoph Biller, Thomaskantor in Leipzig. Alle Fotos von Adelheid Feilcke in Leipzig am 14.6.2013, Rechte an DW von A. Feilcke übertragen
Georg Christoph BillerBild: DW/A. Feilcke

DW: Sie sind der Thomaskantor in Leipzig und somit der Nachfolger von Johann Sebastian Bach. Empfinden Sie dieses Erbe eher als Lust oder als Last?

Georg Christoph Biller: Zugegeben, das ist nicht leicht. Aber wenn man immerfort über diesen großen Schatten nachdächte, würde man sich total ausbremsen und erlahmen. Ich denke darüber nicht dauernd nach, sondern lasse mich davon inspirieren.

Was sind die Aufgaben eines Thomaskantors?

Seit Bachs Zeiten hat sich da nicht viel geändert. Man ist nicht nur Künstler und Dirigent, sondern hat auch mit Finanzen, Erziehung und vielen anderen Dingen zu tun. Ich komponiere zum Beispiel. Und natürlich bin ich im künstlerischen Direktorium des Leipziger Bachfests.

Warum fasziniert Bach auch heute noch Tausende von Menschen, die beim Bachfest Leipzig in der Kirche und auf dem Marktplatz andächtig seiner Musik lauschen?

Ein Sänger erklärte einem koreanischen Fernsehteam vor ein paar Tagen den Unterschied zwischen Händel und Bach. Er sagte: Händel hat fürs Volk geschrieben, Bach fürs Universum. Und da ist was dran! Dass Bach auch fürs Volk schreiben konnte, es aber nicht wollte, merkt man etwa an der populären Kantate "Wachet auf", die ist ja ein richtiger Ohrwurm! Bach konnte also ohne Weiteres etwas Populäres machen. Aber er hat doch viel mehr für das Universum geschrieben.

Denkmal von Johann Sebastian Bach vor der Thomaskirche in Leipzig
Bach-Denkmal vor der Thomaskirche in LeipzigBild: picture-alliance/dpa

Glauben Sie, dieses Universelle erschließt sich auch Menschen anderer Religionen? Wir sehen Bach ja als den protestantischen Komponisten. Oder kann man Bach von dieser protestantischen Tradition trennen?

Man kann ihn trennen. Das ist ja eben das Geheimnis der Bachschen Musik, auch wenn sie religiös auf dem Luthertum basiert, vermag sie wirklich alle Kulturen in allen Ecken dieser Welt zu erreichen.

Erleben Sie eine solch vielfältige Resonanz auch bei Ihren Thomanern?

Tagtäglich! Es ist ja allein so, dass die Thomaner zur Hälfte aus nicht-kirchlichen Elternhäusern kommen. Als ich hier antrat dachte ich, das könnte ich über die Aufnahme ändern. Das ist heute einfach nicht möglich. Aber, egal ob kirchlich oder nicht, keiner der Sänger ist unberührt von Bach. Ich trage nur Sorge, dass auch die Inhalte so weit wie möglich verstanden werden. Und da sind ja Kinder im Vorteil, weil sie viel ungefilterter rangehen als Erwachsene. Kinder verstehen viel!

Georg Christoph Biller probt mit den Thomanern
Georg Christoph Biller probt mit den ThomanernBild: picture-alliance/dpa

Sie müssen Ihre Chormitglieder aber auch gar nicht groß motivieren. Die scheinen sich total mit dem Chor und seiner Tradition zu identifizieren, oder?

Musik bedeutet für mich Wahrhaftigkeit – und zwar in jeder Phase des Musizierens. Und diese Wahrhaftigkeit muss auch gelebt werden. Das will ich den Kindern vermitteln. Und klar, die versuchen immer wieder zu tricken. Ich sage den Jungs, was Sache ist. Und merke immer wieder: Ich bin da ziemlich alleine. Die Lehrer selbst haben damit Schwierigkeiten. Und auch die Eltern scheinen sich - bis auf Ausnahmen natürlich - nicht zu trauen, die Wahrhaftigkeit über vieles zu stellen. Wir müssen den Jungs also so ziemlich alles beibringen, was notwendig ist. Und ich finde es verhängnisvoll, wenn die Kinder erleben, dass es eine Mehrheit von Pädagogen und Menschen um sie herum gibt, die immerfort signalisieren: Wenn Du wahrhaftig bist, hast Du nur Nachteile im Leben. Das ist eine ganz schlimme Botschaft!

In der Musik wird der Wahrheitsbegriff oft in Verbindung gebracht mit der historischen Aufführungspraxis. Sie sitzen in Leipzig ja wirklich an "der Quelle", arbeiten Sie auch mit Quellenforschung?

Das ist natürlich ein Faktor. Aber das ist nicht die Wahrhaftigkeit par excellence. Also wenn ich sogenannte authentische Aufführungspraxis bringe, bin ich nicht unbedingt authentisch! Authentisch ist, wenn ich ein Bekenntnis darin sehe. Und das kann natürlich nicht ohne Quellenstudium, ohne Rückschau sein. Aber ich muss die Musik mit einem Bekenntnis verbinden. Und das vermisse ich bei vielen!

Sie haben ja praktisch mit Bach Ihr ganzes Leben verbracht. In Bezug auf Bach: Welche Wünsche haben Sie noch?

Konzert in der Leipziger Thomaskirche
Konzert in der Leipziger ThomaskircheBild: picture-alliance/dpa

Ich würde mir vorstellen, "Die Kunst der Fuge" von Bach in ein solches Gewand zu bringen - ich weiß jetzt selbst nicht in welches - dass auch das große Publikum es mit vollziehen kann. "Die Kunst der Fuge" ist schwere Kost für das große Publikum, ist auch für Eingeweihte schon schwierig genug. Aber "Die Kunst der Fuge" ist großartige Musik!

Seit 1992 ist Georg Christoph Biller der künstlerische Leiter des Leipziger Thomanerchors. In dieser Funktion ist er auch Nachfolger von Johann Sebastian Bach, der das Amt von 1723 bis 1750 inne hatte. Georg Christoph Biller selbst war von 1965 bis 1974 Mitglied des Chores.

Das Gespräch führten Adelheid Feilcke und Rick Fulker.