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"Billy" für Russlands Mittelklasse

Stephan Hille18. November 2003

Vor drei Jahrhunderten bereitete Peter der Große der schwedischen Vorherrschaft im russischen Ostseeraum endgültig ein Ende. Endgültig? Inzwischen sind sie wieder da - unter Tarnnamen wie Billy, Ivar oder Ingun.

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Waräger, so nannten sich jene skandinavischen Krieger und Kaufleute, die seit dem späten 8. Jahrhundert in das Land, das heute Russland heißt, vordrangen und nicht unwesentlich dazu beitrugen, in den russischen Teilfürstentümern Herrschaft und Ordnung aufzubauen. Zehn Jahrhunderte später hatten die Russen längst gelernt, nicht nur einen Staat sondern auch ordentlich Krieg zu führen. Anfang des 18. Jahrhunderts machte Zar Peter der Große der schwedischen Vorherrschaft im Ostseeraum endgültig ein Ende und ließ eine Festung und Stadt nach seinem Namen errichten, auf dass die Schweden ein für alle Mal ihre Finger von der heiligen russischen Erde ließen.

Der Traum vom besseren Leben

Wiederum drei Jahrhunderte später sind die Schweden zurück. Ganz Europa haben sie mit ihrem Möbelhaus "IKEA" erobert. Nun auch Russland. In Moskau gibt es bereits zwei Filialen, des "verrückten Möbelhauses", und in knapp vier Wochen wird die erste Niederlassung in St. Petersburg eröffnet. Die Petersburger können es kaum erwarten. Sie beneiden die Moskowiter, die schon seit drei Jahren auf einem schwedischen Diwan ruhen und sich mit Möbeln umgeben, deren Namen allein schon den Traum vom besseren Leben verkünden: Vom Klassiker "Billy" über das Fernsehschrankmodul "Ivar" zum Bürotisch "Effektiv" oder der Arbeitsplatte "Ingu", die auch noch in der kleinsten Küche Platz findet.

Die Schweden-Möbel sind auch in Moskau der Renner und vielleicht das sichtbarste Zeichen der Globalisierung. Denn IKEA in Moskau unterscheidet sich kaum von dem üblichen westeuropäischen IKEA-Wahnsinn. Hektische Parkplatzsuche in der Sektion "L", an der Kasse rammt der genervte Ehemann aus Versehen der Frau vor ihm das überstehende Schranksystem "Pax" in die Unterschenkel, über Lautsprecher wird der Fahrer des Ladas aufgefordert, die Zufahrt zur Sektion "D" wieder frei zumachen, und die Eltern des kleinen Kolja mögen doch bitte endlich ihren Sohn an der Information abholen. Und natürlich beißen auch die Russen am Ende des Einkaufs hochzufrieden und beherzt in die traditionellen Fleischklöße mit Preiselbeeren.

Ein Hauch von Bullerbü-Gemütlichkeit

Der russische Kunde unterscheidet sich in keiner Weise von der westlichen Kundschaft und gibt im Durchschnitt pro Einkauf mit 60 Euro genauso viel aus wie im Westen. Den Petersburgern hat die PR-Abteilung des schwedischen Möbelgiganten für den 12. Dezember bereits eine "Revolution der häuslichen Gemütlichkeit" angekündigt. Im Gegensatz zu den Umstürzen, die die Stadt an der Newa bereits erlebt hat, dürfte die IKEA-Revolution zu einer tatsächlich vom Volk getragenen Massenbewegung werden. Mit Freude werden nun auch die Petersburger die finster-braune Wohnzimmerschrankwand, Modell "Dnepr", auf den Haufen der Geschichte werfen um sich einen Hauch von Bullerbü-Gemütlichkeit zu leisten.

Praktischer Lebensstil und farbenfrohe Wohnkultur, das Erfolgsrezept von IKEA für die junge Mittelklasse, wird ohne Zweifel auch in Russland aufgehen.

Und so wie einst die Moskauer Fürsten und später die Zaren nach und nach die Weiten des ostslavisch-orthodoxen Territoriums eroberten, macht sich nun auch IKEA an die Sammlung des russischen Landes. "Billy-Regale" sollen bald schon die Wohnzimmer in den Ballungsräumen von Kasan bis Nowosibirsk schmücken. Dass die Revolution der Wohnkultur wegen bürokratischer Hürden in Moskau wie in den Regionen bisweilen nur langsam vorankommt, stört die schwedischen Möbelmacher nicht. Im Bohren dicker Bretter hat IKEA schließlich Erfahrung.