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Biographie einer Kriegsheldin

Daniel Scheschkewitz10. November 2003

Für die meisten Amerikaner ist Jessica Lynch eine Kriegsheldin. Für die Skeptiker ist sie vor allem ein Opfer des Pentagon, das seine Jungend in einen ungerechten und schlecht vorbereiteten Krieg schickte.

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Jessica Lynch hat weder die Kraft noch das intellektuelle Format, um ihre Lebensgeschichte selbst zu Papier zu bringen. Unfähig ihre Blase oder den eigenen Darm zu kontrollieren, schafft sie auch heute – sechs Monate nach ihrer "Befreiung“ aus irakischer Kriegsgefangenschaft - nur mit Mühe ein paar Schritte auf Krücken gestützt. Immerhin dürften ihr die Tantiemen ihrer jetzt vom früheren New-York-Times- Journalisten Rick Bragg veröffentlichten Biographie helfen, die teure Rehabilitation zu finanzieren. Denn noch immer muss das junge Mädchen aus der tiefen Provinz West Virginias 11 Stunden am Tag in der Reha trainieren, will sie jemals wieder richtig laufen können. Vom Trauma ihrer Kriegsgefangenschaft einmal ganz zu schweigen.

Donald Rumsfeld hat ihr die Hände geschüttelt, und wenn sie mit ihren Eltern in der Shopping Mall zum Einkaufen geht, stecken ihr alte Damen Papierservietten zu, auf denen steht: "Danke für deinen Einsatz, Jessica!“

Irak und Hollywood

Zur Erinnerung: Jessica Lynch war Teil eines Versorgungskonvois der amerikanischen Invasionsarmee, der in den ersten Kriegstagen in Nasirija in einen irakischen Hinterhalt geriet. Schwer verletzt kam Lynch in Kriegsgefangenschaft, nur um wenige Tage später in einer gefilmten, manche sagen auch gestellten Helden-Aktion von einer US-Spezialeinheit aus ihrer Krankenhausgefangenschaft befreit zu werden. Mit der Geschichte von Lynchs Befreiung begann sich wie zufällig das Blatt im Irakkrieg zu wenden und entsprechend schnell tauchten berechtigte Zweifel an der Pentagonversion ihrer Rettung auf. Nicht zuletzt durch den Bericht eines irakischen Arztes, der Jessica Lynch in Nasarija medizinisch betreut hatte und der inzwischen selbst – aus Angst vor möglichen Häschern Saddams - an geheim gehaltenem Ort in den USA lebt.

Wer jedoch gehofft hatte, nun direkt aus der Quelle die Wahrheit über die damaligen Ereignisse zu erfahren, wird enttäuscht. Der Autor von Lynchs Schicksalstory hat im Irak selbst überhaupt nicht recherchiert. Stattdessen hat er ihre Ärzte im Militärhospital in Landstuhl befragt, Jessica Lynch selbst und ihre Familienangehörigen interviewt. Einzig neue Erkenntnis: die Ärzte vermuten, dass Lynch unmittelbar nach ihrer Gefangennahme vergewaltigt wurde. Doch die Betroffene selbst erinnert sich an gar nichts mehr. Jessica Lynch kam erst Stunden später wieder zu Bewusstsein, als irakische Ärzte im Krankenhaus von Nasarija ihr zertrümmertes Bein amputieren wollten. Dagegen hat sich die inzwischen aus der Armee entlassene Lynch erfolgreich zur Wehr gesetzt. Nun muss sie ihr Leben selber wieder in den Griff bekommen und wirbt für ihr Buch in der Talkshow bei David Lettermann in New York.

Einmal Hawaii

Warum ein hübsches Mädchen wie sie unbedingt zur Armee wollte, haben die Buchautoren sie gefragt. Um die Welt zu sehen, sagt sie mit der entwaffnenden Naivität eines Provinzmädchens vom Lande. Den Irak hatte sie sich allerdings anders vorgestellt, mit mehr Straßen und weniger Sand und so. Wenn sie wieder gesund ist, will die gelernte Kindergärtnerin ihren Reisetraum doch noch verwirklichen. Nach Hawaii möchte sie. Die Fernsehbilder aus dem Irak und die immer neuen Todesnachrichten über die Kampfgenossen von einst, blendet sie aus. Jessica Lynch hat derzeit genug mit sich selbst zu tun.