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"Birma steht ein Systemwechsel bevor"

5. November 2010

Birma hat ein neues Parlament gewählt. Doch die Opposition durfte nicht so viele Kandidaten aufstellen wie die regierungsnahen Parteien. Der Journalist Mark Saale war während der Abstimmung vor Ort in Birma.

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Die Partei 'Nationale Demokratische Kraft' mit einem roten Wahlkampf-Fahrzeug (Foto: pa/dpa)
Wahlkamf der Partei "Nationale Demokratische Kraft"Bild: picture alliance/dpa

DW-WORLD.DE: Herr Saale, wie ist die Stimmung in Rangun, der wichtigsten Stadt des Landes?

Mark Saale: Es ist erstaunlich ruhig. Man darf nicht durch die Straßen ziehen, man darf keine öffentlichen Reden halten, das führt dazu, dass man kaum wahrnimmt, dass überhaupt Wahlen stattfinden. Man sieht auch kaum Poster auf der Straße. Es gibt keinen Wahlkampf, wie wir ihn kennen. Es ist aber zumindest so, dass die Kandidaten in den Wahlkreisen von Tür zu Tür gehen und Flugblätter verteilen.

Wie sieht der Wahlkampf denn dann aus?

Es gibt Parteien, die mit Bussen durch die Stadt fahren. Sie haben große Lautsprecher auf den Dächern und spielen Musik und haben Plakaten an den Seiten. Aber es ist verboten, Reden zu halten. Man darf nichts über Megafon ausrufen und man darf keine Stände aufbauen. Man kann an bestimmten Orten Wahlkampfveranstaltungen machen, die muss man aber eine Woche vorher beantragen und das kostet Geld. Es wird den Parteien von der Regierung schwer gemacht.

Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi ist auf einem Plakat abgebildet, dass Demonstranten in Berlin in Händen halten (Foto: pa/dpa)
Bilder der Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi öffentlich zeigen, das können Birmanen nur im ExilBild: picture-alliance/ dpa

Was erwarten denn die Menschen von der Wahl?

Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt eine Gruppe, die der Empfehlung von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi folgen und die Wahlen boykottieren wird. Es gibt eine andere Gruppe, die die Wahlen als Chance für Verbesserungen begreift. Die letzten Wahlen liegen zwanzig Jahre zurück, damals wurde das Ergebnis nicht anerkannt und jetzt haben die Menschen zum ersten Mal die Möglichkeit, ihren Willen auszudrücken. Es gibt 37 Parteien, die antreten, und darunter sind auch demokratische Parteien. Eine Absplitterung von Aung San Suu Kyis Nationaler Liga für Demokratie tritt an, sie scheint populär zu sein. Aber es gibt noch mehr Parteien, auch wenn sie viele nicht überall antreten, weil die Registrierungsgebühr für die Kandidaten 500 Dollar beträgt. Das ist mehr als ein Jahreseinkommen. Dennoch: Dort, wo die Menschen die Wahl haben, können sie demokratische Kräfte wählen.

Bedeutet das, dass die Wahlen tatsächlich Raum für Veränderung bieten?

Die neue Flagge des Landes wird gehisst (Foto: AP)
Vor den Wahlen hat die Junta sogar eine neue Fahne eingeführtBild: AP

Die Wahlen sind ein Systemwechsel. Nach 20 Jahren Militärdiktatur wird es Parlamente geben. Wie frei dort diskutiert werden kann, ob es weitere Veränderungen wie Medien-, Versammlungs- oder Redefreiheit geben wird, das steht in den Sternen. Aber zumindest wird das Land nicht mehr per Dekret von einem Diktator regiert wird. Es wird ein Land sein, das politische, demokratische Institutionen haben wird. Sie werden natürlich schwach sein, weil sie von Militärs dominiert sein werden. Das Land wird ein neues politisches System bekommen und darin liegt auch die Hoffnung derer, die mitmachen in diesem Prozess. Dass bei allen Mängeln an dieser Wahl die Chance genutzt werden muss, von der Militärdiktatur wegzukommen hin zu einem System, das man dann während der nächsten Jahre auch im Hinblick auf die nächste Wahl 2015 positiv gestalten kann.

Welche Rolle wird das Militär nach der Wahl einnehmen

Das Militär hat sich ja 25 Prozent der Parlamentssitze durch die Verfassung gesichert. Viele Generäle haben ihre Uniform abgelegt und sind der so genannten Juntapartei, der Partei für Solidarität und Entwicklung der Union beigetreten. Niemand gibt sich hier Illusionen hin, dass die Wahl von heute auf morgen Demokratie bringen wird. Es wird weiterhin ein Land sein, das von Militärs dominiert werden wird, aber eben unter einem neuen System, das hoffentlich mittel- bis langfristig Chancen auf einen Wandel bietet.

Es hat Hinweise gegeben, auch von seiten der Führung, dass Aung San Suu Kyi nach den Wahlen freikommen könnte. Wie wahrscheinlich ist eine solche Freilassung?

Ja, der 13. November wird hier als ein Tag genannt, an dem der Hausarrest enden könnte. Optimisten rechnen nicht nur damit, dass sie freikommt, sondern dass Hunderte, ja vielleicht Tausende andere politische Gefangene ebenfalls freikommen, dass es einen wirklichen Neuanfang gibt. Es gibt ein Gerücht, dass es eine Generalamnestie geben soll, die auch Exilanten betrifft, also es gibt Hoffnungen bei dieser Wahl, die mit allen Mängeln abgehalten wird, dass dieser Monat November ein Wendemonat in der tragischen Geschichte des Landes sein könnte.

Das Gespräch führte Mathias Bölinger
Redaktion: Silke Ballweg