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"Nicht von der Gewalt unterkriegen lassen"

21. Dezember 2016

Nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt neben der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche spricht der evangelische Berliner Bischof Markus Dröge über Gefühlslagen, Stimmungen und das, was jetzt seine wichtigste Aufgabe ist.

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Deutschland Bischof Markus Dröge
Bild: picure alliance/dpa/T. Rückeis

Mit einem bewegenden Gottesdienst in der evangelischen Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ist am Dienstagabend der Opfer des verheerenden Anschlags auf den dortigen Weihnachtsmarkt mit zwölf Toten und 48 Verletzten gedacht worden. An dem ökumenischen Gottesdienst nahmen rund 800 Besucher teil. Darunter waren auch die drei höchsten politischen Repräsentanten Deutschlands. Der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Markus Dröge, hielt eine kurze Ansprache. Kurz zuvor gab er der Deutschen Welle das folgende Interview.

DW: Bischof Dröge, weil Sie für über eine Million Christen in Berlin, Brandenburg und der schlesischen Oberlausitz Verantwortung tragen, laufen bei der Kirchenleitung viele Informationen und Stimmungsströmungen zusammen. Was macht der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz mit den Menschen in Berlin und Umgebung?

Markus Dröge: Wir sind natürlich alle erschrocken und entsetzt gewesen. Man hört immer, dass ein Anschlag stattfinden könnte, aber so richtig glaubt man es dann doch nicht im alltäglichen Leben. Die Menschen sind verunsichert, ängstlich und – was ich gut nachvollziehen kann –  auch wütend, dass so etwas überhaupt passiert ist. Sie fragen sich, was sind das für Menschen, die so ein Attentat planen in einer friedlichen Zeit, auf einem friedlichen Weihnachtsmarkt mit Gewalt Tod und Schrecken zu erzeugen. Also: Ich glaube wir sind in Berlin alle erschrocken und wir sind gemeinsam eine Stadt, die trauert – mit den Angehörigen der Opfer, mit den Verletzten, und wir haben es noch nicht richtig verarbeitet.

Der Anschlag fand ausgerechnet an der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche statt. Die Ruine steht als Mahnmal gegen Krieg und für Versöhnung und Völkerverständigung. Was empfinden Sie angesichts des Anschlagsortes?

Ich empfinde, dass tatsächlich ein Symbolort getroffen worden ist. Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ist ein Torso, stehengeblieben aus einer Ruine des Zweiten Weltkriegs. Sie mahnt, was passieren kann, wenn sich Menschen der Gewalt hingeben, dem Hass hingeben, und sie ist gleichzeitig eine Versöhnungskirche – ein Symbol für Versöhnung. Sie enthält das Nagelkreuz der weltweiten Gemeinschaft von Coventry. In Coventry in England wurde die Kathedrale im Zweiten Weltkrieg zerstört. Mitten in der durch deutsche Bomben zerstörten Kathedrale hat ein Pfarrer aus herumliegenden Nägeln ein Kreuz gebildet und gesagt: "Hier sehe ich nur Hass und Zerstörung, aber die Versöhnungskraft ist stärker." Das ist auch die Botschaft der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Ich glaube, gerade diese Hoffnungsbotschaft müssen wir jetzt durchhalten und stark machen.

Ausgerechnet zum Ende des Advents - statt freudiger Erwartung, nun Tränen, Tod und Trauer. Wie bewerten Sie den Zeitpunkt des Attentats, war das Absicht?

Ich kann nicht in die Herzen derer schauen, die das geplant haben, aber es ist schon die Zeit, in der wir uns auf das Weihnachtsfest vorbereiten – jeder so, wie er es gerne feiert. In der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche war der Bach-Chor gerade bei seiner Probe für die Weihnachtsgottesdienste und hat zunächst gar nicht mitbekommen was draußen passiert ist und dann mit Entsetzen festgestellt, was dort an Terror geschehen ist. Es ist eine ganz empfindliche Zeit. Ich selbst war dabei, das Tagesgeschäft allmählich herunterzufahren, um mich auf die Botschaft von Weihnachten zu konzentrieren, als ich die Nachricht bekam. Es ist sehr schmerzlich und ein ganz empfindlicher Punkt, an dem wir getroffen worden sind.

Das Weihnachtsfest ist zwar nicht das theologisch bedeutendste Fest der Christenheit, aber das beliebteste der Deutschen. Es ist das Fest der Liebe Gottes für die Menschen. Was sagen Sie den Menschen nach einem solch furchtbaren Ereignis in den Weihnachtspredigten, wenn das brutale Gegenteil von Liebe seine Fratze zeigt?

Dieses Weihnachtsfest wird stark davon geprägt sein, dass wir die Trauer mit in die Gottesdienste hineinnehmen, dass wir an die Menschen denken, die verletzt sind, an die Verstorbenen und die Familien, die entsetzt sind und Trauer tragen. Wir werden das in der Fürbitte tun, aber wir werden natürlich auch die Botschaft der Menschlichkeit Gottes stark machen, sie weiter geben. Die Geschichte des Stalls von Bethlehem erzählt, dass Gott in eine friedlose Welt hineinkommt. Als Jesus geboren wurde, gab es in Bethlehem eine Besatzungszeit, es gab Unterdrückung, es gab Gewalt, es gab die Verfolgung von Neugeborenen. Doch gerade in eine solche Welt hinein will Gott kommen und die Menschlichkeit neu zum Leben erwecken. Ich erhoffe mir, dass wir in den Weihnachtsgottediensten ein großes Gemeinschaftsgefühl spüren werden und miteinander sagen: Wir lassen uns nicht von der Gewalt unterkriegen, und wir lassen es nicht zu, dass Hass und Gewalt letztlich das Sagen bekommen.

Was wird für Sie als Bischof angesichts dessen, was geschehen ist, in der nächsten Zeit die wichtigste Aufgabe sein?

Die wichtigste Aufgabe wird sein, dass wir dafür sorgen, dass die Attentäter nicht noch nachträglich recht bekommen, indem ihre Saat aufgeht. Sie wollen Hass und Zwiespalt säen, Menschen und Religionen gegeneinander aufbringen. Die Hauptaufgabe wird sein, dies zu verhindern und den Menschen deutlich zu machen: Gebt jetzt nicht den Attentätern nachträglich recht, indem ihr auf dieser Spur weitergeht, sondern haltet zusammen, haltet die Menschlichkeit hoch, vergesst nicht die Nächstenliebe. Nur so können wir die Attentäter überwinden und dafür sorgen, dass sie ihre Ziele nicht erreichen.

Markus Dröge (62) ist seit November 2009 Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Dazu gehören rund eine Million Christen. Im Jahre 1999 wurde Dröge zum Doktor der Theologie promoviert.

Das Interview führte Klaus Krämer.