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Bittsteller unerwünscht

30. September 2009

Angesichts des 60-jährigen Staatsjubiläums der Volksrepublik China fürchtet die kommunistische Führung die Unzufriedenen – und duldet illegales Vorgehen gegen Bittsteller.

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Tiananmen Platz mit Heer in Peking (Foto: AP)
An dem Heer vor dem Volkskongress kommen Bittsteller nicht vorbeiBild: AP

Mit ungewöhnlicher Offenheit berichtete die chinesische Zeitung Southern Weekly Anfang August über das Schicksal von Li Ruirui. Die 20-jährige Studentin aus der Provinz Anhui war nach Peking gekommen. Sie wollte eine Petition bei der Zentralregierung gegen den Verweis von ihrer Universität einreichen. Doch schon kurz nach ihrer Ankunft wurde sie von zwei Männern aus ihrer Heimatprovinz aufgegriffen. Sie brachten die junge Frau in ein Hotel. Dort wurde sie, zusammen mit mehr als 70 weiteren Bittstellern auf einer Fläche von 150 qm eingesperrt: Ein so genanntes "Schwarzen Gefängnis". Dort wurde sie in der folgenden Nacht von einem der Wächter vergewaltigt.

Ineffektives Petitionswesen

Der Fall Li Ruirui ist nur einer der vielen Fälle von Gewalt und Willkür gegen Petitionssteller. In Scharen ziehen sie nach Peking, um für ihr Recht zu kämpfen. Doch die Probleme im Petitionswesen sind offenkundig. Carl Minzner hält es für ineffektiv. "Die Petitionen liefern keine effektiven Lösungen für die Klagen der Menschen, die versuchen die Aufmerksamkeit der zentralen Regierungsbehörden auf ihre Beschwerden zu ziehen", erklärt der Professor für chinesisches Recht an der Washington University. Chinesische Wissenschaftler sind Minzner zufolge zu dem Ergebnis gekommen, dass weniger als 0,2% der Petitionen, die nach Peking gebracht werden angenommen werden. Zudem ermutige es zu Misshandlungen an Bittsteller, so Minzner.

Der Pekinger Westbahnhof befindet sich im westlichen Pekinger Stadtbezirk Xuanwu (Foto: Xiao Xu)
Sie kommen von weit her, um ihre Petitionen einzureichenBild: Xiao Xu

"Schwarze Gefängnisse“ - stillschweigend geduldet

Die lokalen Behörden haben ein großes Interesse daran, dass Petitionen die Zentralregierung nicht erreichen. Denn ist die Anzahl von Unzufriedenen aus einer Region besonders groß, drohen der verantwortlichen örtlichen Verwaltung Sanktionen. Aus diesem Grund setzen lokale Behörden Bittsteller häufig unter Druck. Einige betreiben die berüchtigten "Schwarze Gefängnisse" in der Hauptstadt. Hier werden abgefangene Petitionäre wie Li Ruirui festgehalten. Nicht selten werden sie misshandelt. Schließlich werden sie gezwungen, in ihre Heimat zurückzukehren.

Dabei ist das Einreichen einer Petition bei der Zentralregierung durchaus legal. Die Wurzeln des Petitionswesens gehen bis in die Kaiserzeit zurück. Jährlich nutzen es etwa 12 Millionen Menschen. Doch nun, am 60-jährigen Jubiläum der Staatsgründung, sind Bittsteller in der Hauptstadt unerwünscht. Denn die Regierung, so Minzner, könne die Flut von Unzufriedenen nur schwer kontrollieren. Insbesondere zu sensiblen Zeiten, wie beispielsweise dem 60-jährigen Staatsjubiläum, sei sie extrem besorgt über jedes Auftreten von sozialer Instabilität.

So sind die eigentlich illegalen "Schwarzen Gefängnisse" für die Zentralregierung durchaus nützlich. Nach Ansicht Minzners werden sie stillschweigend geduldet: Denn sie helfen, die Masse an Bittstellern aus Peking fernzuhalten.

Tiefgreifende politische Reformen sind nötig

Vorbereitungen 60 Jahre Volksrepublik China (Foto: AP)
In China laufen die Vorbereitungen für die Feier auf HochtourenBild: AP

Im Jahr 2005 wurden die rechtlichen Bestimmungen über das Petitionswesen reformiert. Angesichts der großen Probleme wurde im Vorfeld in politischen und juristischen Kreisen in China auch über eine Abschaffung des Petitionssystems diskutiert. Doch selbst Kritiker der chinesischen Regierung lehnen dies ab. Einer von ihnen ist Teng Biao. Der Bürgerrechtler und Menschenrechtsanwalt aus China sieht Nachteile in der Abschaffung des Petitionssystems. "Wenn man das Petitionssystem abschafft, löst man nicht die Probleme der Bürger. Sie haben dann noch weniger Möglichkeiten ihre Probleme zu äußern. Obwohl die Wahrscheinlichkeit Probleme zu lösen sehr gering ist, haben sie Hoffnung. Wenn das Petitionssystem abgeschafft wird, werden all diese Probleme Unvernunft und sogar Gewalt hervorrufen." Stattdessen, so Teng, könne nur eine grundlegende gesellschaftliche und politische Reform die Probleme des Petitionssystems in China lösen. Die Gerichte müssten Teil eines unabhängigen Justizsystems werden. Gleichzeitig müsse die Kontrolle gegenüber der Staatsmacht verstärkt und die Korruption in der Politik vermindert werden.

Doch die Führung in Peking scheut derartige fundamentale Reformen. Sie würden den Kern des chinesischen Staates berühren.

Autor: Christoph Ricking
Redaktion: Diana Hodali