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Blair wird nervös

Grahame Lucas25. Februar 2003

Der britische Premier verliert in der Irak-Frage Gefühl für Stimmung im Lande. Ein Kommentar von Grahame Lucas.

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Der britische Premier Tony Blair hat in seiner Regierungs-Erklärung am Dienstag (25.2.2003) klar gemacht, dass der Irak nun noch eine "letzte Chance" bekomme abzurüsten. Und sein Außenminister Jack Straw bekräftigte, London schließe notfalls einen militärischen Alleingang mit den USA nicht aus.

Mit dieser harten Haltung steht die britische Regierung jedoch gegen die Mehrheit der Bevölkerung: Letzten Umfragen zufolge sind vier von fünf Briten gegen einen Krieg ohne neue UN-Resolution. Und die Sympathie-Werte für Blair sind tief gefallen. Die Gratwanderung des britischen Premiers kommentiert Grahame Lucas.

Das Warten auf Beweise aus dem Irak zerrt an Blairs Nerven. Mit jedem Tag wirkt er weniger souverän und zunehmend angriffslustig. In seiner Irak-Rede im Unterhaus waren die Deutschen und die Franzosen dran: Der britische Premierminister nahm kein Blatt vor den Mund und bezeichnete die deutsch-französischen Vorstellungen für die Entwaffnung Iraks als "absurd". Wenn Saddam nicht kooperieren wolle, dann nutze keine Verzögung, so Blair.

Seine Frustration ist verständlich, denn die diplomatischen Bemühungen der Deutschen und Franzosen in New York haben eine schnelle Abstimmung über die zweite - von den USA, Großbritannien und Spanien eingereichte - Resolution verhindert. Ein UN-Mandat für einen Angriff auf den Irak erscheint kurzfristig nahezu unmöglich.

Blair verkennt, dass die Politik der Deutschen und Franzosen erst durch seine stümperhaften Fehler möglich wurde: Ursprünglich hatte Blair darauf gesetzt, dass sich Verbindungen zwischen Bagdad und dem Al-Kaida-Terrornetz beweisen lassen. Die Linie lautete: Regime-Wechsel in Bagdad als Teil des Kriegs gegen den Terror. Wäre dies der Fall gewesen, hätte Blair der Unterstützung Berlins sicher sein können. Aber die Beweise blieben aus.

Dann sollte die Absetzung Saddams den Weg für eine Lösung der Nahost-Krise ebnen. Ein Konzept lieferte Blair nicht, das Thema verschwand.

Dann schlug die Stunde des Geheimdienstes: Ein Dossier sollte beweisen, dass der Irak unvermindert versuche, Massenvernichtungswaffen zu beschaffen, was eine klare Verletzung der Irak-Resolutionen im UN-Sicherheitsrat dargestellt hätte. Dummerweise stellte sich heraus, dass das erste Dossier nur alte Informationen und Erkenntnisse enthielt. Beim zweiten hatte der Geheimdienst weitgehend aus Forschungsarbeiten von Studenten abgeschrieben. Peinlicher geht es nicht.

Blair reagiert auf zunehmende Kritik mit schriller Rhetorik: Zuletzt versuchte er, einen Krieg mit dem Hinweis auf Menschenrechtsverletzungen im Irak moralisch zu rechtfertigen. Die Welt von Saddam zu befreien, wäre - so Blair wörtlich - "ein Akt der Menschlichkeit". Leider wurde ihm sowohl von führenden Kirchenvertretern in Großbritannien, als auch vom Papst widersprochen.

Nun also sollen die Franzosen und die Deutschen die Sündenböcke sein. Tatsache ist aber, dass Blair nun in einer Falle steckt, die für ihn politisch tödlich sein könnte: Ein Krieg ohne eine zweite Resolution könnte seine eigene Labour-Partei sprengen und zu seiner Ablösung führen. Sollten die Amerikaner ohne Mandat und ohne die Briten gegen Saddam vorgehen, wäre Blair nicht nur als Verbündeter blamiert - Großbritannien wäre in Europa isoliert wie selten zuvor.
Kein Wunder, dass Blair sich jetzt geradezu großzügig
zeigte: Der irakische Diktator solle noch eine allerletzte Chance bekommen.

Für den politischen Beobachter stellt sich die Frage, warum Blair - der einst gerade zu obsessiv auf die öffentliche Meinung achtete und daran seine Politik ausrichtete - sich jetzt so verhält. Könnte es sein, dass Blair nach sechs Jahren an der Macht das Gefühl für die Stimmung an der Basis verliert? Bei Margaret Thatcher kam es ähnlich. Beweisen lässt sich das natürlich auch nicht.