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Blamage - NPD-Verbotsverfahren vorerst ausgesetzt

Heinz Dylong23. Januar 2002

Seit rund einem Jahr liegt der Verbotsantrag gegen die NPD beim Verfassungsgericht. Jetzt hat das Gericht überraschend die Termine für die mündliche Verhandlung abgesetzt. Ein Kommentar von Heinz Dylong.

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Es ist peinlich, nein, mehr noch, es ist eine Blamage, die sich Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) im Zusammenhang mit dem laufenden Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) leistet. Vor rund einem Jahr beantragten alle drei dazu berechtigten Verfassungsorgane - Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat - beim Bundesverfassungsgericht das Verbot der NPD. Ein juristisch gut begründetes und politisch wohl vorbereitetes Vorgehen, das der Tatsache Rechnung trägt, dass Parteienverbote rechtsstaatlich ein höchst sensibler Vorgang sind. Das war der Eindruck vor einem Jahr, der nun wie eine Seifenblase zerplatzt.

Denn den Karlsruher Richtern wurde zum Beleg der Vorwürfe gegen die NPD unter anderem ein Funktionär der Partei genannt, der jedenfalls bis Mitte der 90er Jahre für den Verfassungsschutz gearbeitet hat. Als solches ist das nicht beunruhigend - natürlich versucht der Verfassungsschutz Quellen innerhalb solcher Organisationen zu gewinnen, die er beobachtet. Grotesk wird das ganze jedoch, wenn sich der durchaus gerechtfertigte Verbotsantrag auch auf Äußerungen eben jenes Funktionärs stützt. Und blamabel wird das Vorgehen des Innenministeriums, wenn die Verfassungsrichter zunächst gar nicht und dann erst durch einen verschämten Anruf aus Berlin vom Hintergrund besagten NPD-Funktionärs informiert werden.

So ist es nur allzu verständlich, dass die Karlsruher Richter die im Februar geplante mündliche Verhandlung zunächst aussetzten. Denn in der Tat darf nicht der geringste Zweifel am rechtsstaatlichen Vorgehen entstehen, wenn ein Parteiverbot - es wäre das dritte in der Geschichte der Bundesrepublik - auf der Tagesordnung steht. Und solche Zweifel entstehen, wenn man die Vorwürfe gegen die NPD mit den Äußerungen eines Parteifunktionärs stützen will, den man selbst als Informanten bezahlt hat.

Das Verfassungsgericht hat in den vergangenen Monaten penibel darauf geachtet, das Verfahren über wirklich jeden Zweifel zu erheben. Und das war gut so - denn es hätte der Propaganda der NPD in die Hände gespielt, wenn sie eben solche Zweifel hätte nähren können. Und nun wird genau das geschehen. Die NPD wird von "Provokateuren" sprechen, von "Manipulation" und "Desinformation". Dass das alles Unsinn ist, dass sich die Vorwürfe des Rechtsextremismus gegen die Partei auch anhand von ihr selbst veröffentlichten Materials belegen lassen, kurz: dass ihr Verbot sich im demokratischen und wehrhaften Rechtsstaat sehr wohl rechtfertigen lässt - all das wird nun kaum noch verfangen.

Das Verfahren gegen die NPD wird - mit einer gehörigen zeitlichen Verzögerung - mutmaßlich weiter gehen. Dass es bis zur Bundestagswahl im September nicht beendet sein -, die NPD also auf den Wahlzetteln stehen wird, ist noch das geringste Problem. Wichtiger ist, dass durch den Dilettantismus Berliner Ministerialbeamter eine Chance aus der Hand gegeben wurde. Ein mögliches NPD-Verbot auf der Basis des überaus sorgfältigen Vorgehens des Verfassungsgerichts hätte auch im Sympathisantenumfeld der NPD, im Kreis der für das krause Denken der Partei Anfälligen, seine Wirkung nicht verfehlt. Zumindest wären der NPD nicht mal die fadenscheinigsten Argumente für ihre Propaganda verblieben. Darauf darf man nun nicht mehr hoffen. Der Schaden ist entstanden, und begrenzen können ihn nur die, die dafür überhaupt keine Verantwortung tragen: die Verfassungsrichter, die weiterhin dafür sorgen müssen, dass jedenfalls ihr Vorgehen über jeden Zweifel erhaben bleibt.