1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

US-Börsenkurse stürzen ab

Karl Zawadzky30. September 2008

Das Scheitern des Rettungsplans für die Finanzmärkte hat die US-Börsen auf Talfahrt geschickt. Dagegen haben die europäischen Aktienmärkte am Dienstag der Panikstimmung weitgehend getrotzt. Karl Zawadzky kommentiert.

https://p.dw.com/p/FRfc
Themenbild Kommentar Grafik Symbolbild
Bild: DW

Nach dem Scheitern des Rettungsplans von Finanzminister Henry Paulson für die amerikanischen Finanzmärkte hat die Finanzbranche in den Abgrund geblickt. Denn mit diesem Scheitern hatte niemand gerechnet. Entsprechend war die Reaktion, als die Nachricht über die Abstimmung im Repräsentantenhaus die Wall Street erreichte. Panik breitete sich aus. Schlagartig ging der Aktienmarkt in den freien Fall. Der Dow Jones, das wichtigste amerikanische Börsenbarometer, büßte 777 Punkte ein. Das war der stärkste Einbruch in der über 100jährigen Geschichte des wichtigsten Börsenbarometers. Selbst der bisherige Rekordabsturz nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 wurde übertroffen. 1 200 Milliarden Dollar an Börsenwert haben sich an der Wall Street verflüchtigt, das ist fast das doppelte der Summe, mit der die amerikanische Regierung die Banken wieder funktionstüchtig machen will, indem der Staat faule Kredite aufkauft und damit die Bankbilanzen saniert.

Aktienmärkte in Europa stabiler

DW-Wirtschaftsexperte Karl Zawadzky
DW-Wirtschaftsexperte Karl Zawadzky

Dass die europäischen Aktienmärkte am Dienstag den Schockwellen aus Amerika trotzten, lässt sich wohl begründen: Die gegenwärtige Finanzmarktkrise hat ihr Zentrum in Amerika; Fehlentwicklungen, bodenloser Leichtsinn, Übertreibungen und kriminelles Handeln in der amerikanische Finanz- und Immobilienbranche sind der Grund für die Krise. Zwar hat es all diese Faktoren auch in Europa gegeben, aber weniger ausgeprägt. In Großbritannien, wo sich die Finanzbranche traditionell stark an den USA ausrichtet, gibt es heftige Turbulenzen, in Kontinentaleuropa ist die Krise weniger stark ausgeprägt. Auch hier wird, wenn Banken in Schieflage geraten, nach dem Staat gerufen. Doch der handelt in Europa im Gegensatz zu Amerika rasch, entschlossen und pragmatisch.

Schwerer Rückschlag für Bush

In den USA wird über die Finanzmarktkrise eine ideologische Auseinandersetzung ausgetragen. Bei der Abstimmung im Repräsentantenhaus hatten diejenigen eine Mehrheit, die Staatseingriffe in die Wirtschaft aus prinzipiellen Gründen ablehnen. Das waren mehrheitlich Abgeordnete der Republikanischen Partei von Präsident George W. Bush, was noch einen interessanten Nebeneffekt hat. Es wurde nämlich sichtbar, dass Bush längst eine “lame duck” ist. Kurz vor Ende seiner Amtszeit ist die Macht des Präsidenten über die eigene Partei im Verfall begriffen. Für die dringend nötige Eindämmung der Finanzkrise ist das tragisch.

Immerhin ist der Panik an der Wall Street nur in Lateinamerika die befürchtete Kettenreaktion gefolgt. Vor allem die Börsianer in Europa richten ihre Hoffnung auf den Donnerstag. Denn dann soll im Repräsentantenhaus ein zweites Mal über den Rettungsplan für die Finanzmärkte abgestimmt werden; bis dahin ist Gelegenheit, die Abgeordneten von der Notwendigkeit eines massiven Staatseingriffs zu überzeugen. Niemand mag sich ausmalen, was passiert, wenn Bush und Paulson dann wieder eine Niederlage erleiden.

Auch der Staat hat versagt

Der Eingriff des Staats und damit der Verstoß gegen marktwirtschaftliche Prinzipien ist gerechtfertigt. Denn erstens lässt sich beim grassierenden Misstrauen an den Finanzmärkten die Krise anders nicht eindämmen, zum anderen ist der Staat in der Pflicht, weil der Krise nicht nur ein Marktversagen, sondern auch ein Staatsversagen zu Grunde liegt. Der Staat hat mit seiner Regulierung und Aufsicht versagt. Hätte er die Entwicklung an den Finanzmärkten nicht viel zu lange treiben lassen, dann wäre der von Investmentbanken und Hedge-Fonds getriebene Kasino-Kapitalismus zu zügeln gewesen. Während der Staat geschlafen oder konzentriert weggeschaut hat, hat in den Banken und an den Börsen die Gier über den Verstand gesiegt. Das war nicht nur in Amerika, sondern auch in Europa der Fall, aber in Europa alles ein paar Nummern kleiner.

Kleinere Schäden in Europa

Entsprechend kleiner sind hier die Schäden und die Reparaturarbeiten. Aber auch in Europa ist der Schaden so groß, dass das Fundament des Finanzsystems gefährdet ist und der Staat eingreifen muss. Das jüngste deutsche Beispiel dafür ist die Rettung des Immobilienfinanzierers Hypo Real Estate durch Bürgschaften von Banken und des Bundes im Umfang von insgesamt 35 Milliarden Euro. Um das Bankensystem liquide zu halten, springt der Staat ein. Das ist ärgerlich für die Steuerzahler, zu deren Lasten das am Ende gehen kann, aber das ist immer noch billiger als der große Crash. Den zu verhindern, ist der einzige Grund für den Verstoß gegen marktwirtschaftliche Prinzipien – und zwar diesseits wie jenseits des Atlantiks.