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Blick in den Abgrund

24. Juni 2009

Die Höhe der Neuverschuldung im Haushaltsentwurf fürs nächste Jahr mutet abenteuerlich an. Doch hat Finanzminister Peer Steinbrück keine andere Wahl, meint Karl Zawadzky in seinem Kommentar.

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Symbolbild Kommentar
Bild: DW

Zunächst die gute Nachricht: Der Bundesregierung ist es wieder gelungen, im Entwurf für den Bundeshaushalt des kommenden Jahres die Einnahmen und Ausgaben auszugleichen. Nun die schlechte Nachricht: Dafür müssen Schulden von annähernd 100 Milliarden Euro aufgenommen werden. Galgenhumor ist angebracht. Der Etatentwurf 2010 eröffnet mit einer in dieser Höhe noch nie dagewesenen Kreditaufnahme einen Blick in den Abgrund. Fast ein Viertel seiner Ausgaben muss der Bund über Schulden finanzieren. Auf 86,1 Milliarden Euro hat Bundesfinanzminister Peer Steinbrück die Nettokreditaufnahme veranschlagt; hinzu kommen mehr als zehn Milliarden Euro neue Schulden für Nebenhaushalte. Der Haushalt 2010 hat jetzt ein Gesamtvolumen von 327,7 Milliarden Euro. In der mittelfristigen Finanzplanung sind bis 2013 insgesamt 310 Milliarden Euro an neuen Schulden veranschlagt. Deutschland wird wieder massiv gegen die Defizitkriterien des Stabilitätspakts für den Euro verstoßen.

Außergewöhnliche Umstände

Es gilt die Devise: Außergewöhnliche Umstände verlangen außergewöhnliche Maßnahmen. In der Tat sind die Umstände für die Staatsfinanzen alles andere als normal. Als Folge der Bankenkrise ist die Weltwirtschaft in eine tiefe Rezession geraten; zum Beispiel die deutsche Wirtschaftsleistung geht im laufenden Jahr um voraussichtlich rund sechs Prozent zurück. Das führt nicht nur zu Ausfällen beim Steueraufkommen im Umfang von vielen Milliarden Euro, sondern auch zu beträchtlichen Anforderungen an den Bundeshaushalt. Für die Banken mussten Rettungspakete geschnürt werden; für die übrigen Zweige der Wirtschaft wurde der Deutschland-Fonds zur Überbrückung der Krise aufgelegt. Mit zwei Konjunkturprogrammen wird die dramatisch eingebrochene Nachfrage gestützt. Die Arbeitslosenversicherung benötigt zur Finanzierung der massiv angestiegenen Kurzarbeit Kredite des Bundes in zweistelliger Milliardenhöhe. Auch bei den weiteren Zweigen der Sozialversicherung muss der Bund mit Krediten einspringen und dann auch noch wegen der vom Bundesverfassungsgericht angeordneten verbesserten steuerlichen Absetzbarkeit der Krankenkassenbeiträge im kommenden Jahr zusätzliche Steuerausfälle akzeptieren.

Keine Alternative zur Schuldenpolitik

Karl Zawadzky, Leiter der Wirtschaftsredaktion der Deutschen Welle (Foto: DW)
Karl Zawadzky, Leiter der Wirtschaftsredaktion der Deutschen WelleBild: DW / Christel Becker-Rau

Eigentlich wollte der Bundesfinanzminister im kommenden Jahr den vorläufig letzten Schritt auf dem Wege der Haushaltssanierung gehen und für 2011 erstmals seit 40 Jahren einen bei Einnahmen und Ausgaben ausgeglichenen Haushalt präsentieren, also ohne Neuverschuldung auskommen. Stattdessen präsentiert er eine Rekordverschuldung, die in dieser Höhe noch vor Jahresfrist undenkbar gewesen wäre. Dennoch ist es richtig, darauf zu verzichten, gegen die Krise anzusparen, sondern stattdessen hohe Haushaltsdefizite zu akzeptieren und die Löcher im Etat mit Schulden zu stopfen. Diese Politik ist ohne Alternative. Denn ein rigoroser Sparkurs würde dramatische Kollateralschäden verursachen. Er würde die ohnehin schwache Nachfrage zusätzlich schwächen und damit die Konjunkturkrise, die Lage am Arbeitsmarkt sowie die Finanzentwicklung der Sozialkassen verschlimmern – und am Ende auch noch zu weiter sinkenden Steuereinnahmen führen.

Kein Spielraum für Steuersenkung

Klar ist aber auch, dass bei einer Erholung der Konjunktur ein neuer Anlauf bei der Haushaltssanierung unternommen werden muss. Im Klartext heißt das: Für Steuersenkungen fehlt in den kommenden Jahren das Geld in den öffentlichen Kassen. Durch die gerade beschlossene gesetzliche Schuldenbremse wird der Zwang zur Haushaltskonsolidierung noch verstärkt. Nach der Bundestagswahl, egal wie sie ausgeht, kommt unweigerlich ein Kassensturz und damit die Stunde der Wahrheit. Erhöhungen der Steuern und Sozialbeiträge sind sehr viel wahrscheinlicher als Steuersenkungen, zumal die in der Vergangenheit häufig geöffnete Trickkiste leer ist. Das Bundesvermögen ist zu guten Zeiten verscherbelt und das damit erzielte Geld verbraucht worden. Jetzt fehlt es in der Not.

Autor: Karl Zawadzky

Redaktion: Zhang Danhong