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Blick in die Hölle

13. November 2009

Drogen, Polizeiwillkür, Prostitution - die Regisseure Lateinamerikas beschäftigen sich mit den Schattenseiten des Lebens. Das Filmfestival in Mannheim erlaubte einen Blick in gesellschaftliche und soziale Abgründe.

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Filmplakat, Frauenkopf, die eine Blüte im und hat, dazu Filmtitel: "Eine Perle Ewigkeit" (Verleih)
Bild: DW-TV

Ein junger Mann handelt mit selbst gefertigten Gewehren in den ärmlichen Vororten der Riesenmetropole Buenos Aires und bekommt daraufhin Ärger mit dem örtlichen Verbrechersyndikat. Ein Taxifahrer, dessen Bruder ermordet wurde, irrt mit einer jungen alkoholabhängigen Frau durch das nächtliche Bogotá auf der Suche nach ein bisschen Ruhe. Eine junge Boxerin aus einem Armenviertel Managuas versucht den Aufstieg in wohlhabende Kreise und stößt dabei auf vielerlei Schwierigkeiten.

Gewalt in den Städten

Argentinien, Kolumbien, Nicaragua – drei Länder, drei Filme, drei Geschichten. Und doch verbindet sie und andere Filme des Kontinents alle eines: sie präsentieren ihre filmischen Helden inmitten eines Chaos aus Verbrechen, Drogensumpf, Prostitution und Korruption. Im peruanischen Berlinale-Sieger "Eine Perle Ewigkeit", der auch in Mannheim zu sehen war, sind es die langen Schatten des Bürgerkriegs, die das Leben der Menschen bestimmen. In den Megametropolen Lateinamerikas lauert überall Gefahr - zumindest für diejenigen, die auf der Straße leben, in den Slums, den ärmlichen Behausungen an der Peripherie der Städte.

Mannund Frau im Bett, von oben fotografiert (Mannheim Filmfestival)
Nur die chilenischen Filme verströmten auch Optimismus und Humor - Szene aus "Ilusiones ópticas"Bild: iffmh.de

Man schlägt sich durch im Leben, verdient sein Geld oft am Rande der Legalität, hofft immer irgendwann einmal diesem Teufelskreis zu entkommen um ein besseres, zumindest einfacheres Leben zu führen. Halt bieten nur die kleinen Fluchten des Lebens, die Liebe, Musik, Tanz, Sport, aber auch: der Alkohol, Kokain, die anderen Drogen, die so allgegenwärtig sind in den Städten, auf der Straße, in den Bars der Nacht, wo all die verlorenen Seelen zueinander finden für Momente eines oft nur kurzen Glücks.

Robin Hood oder Waffenhändler?

Eduardo Pinto aus Argentinien erzählt in seinem Spielfilm "Cano dorado" von dem jungen martialisch auftretenden, muskelbepackten Panceta, der in den Slumvierteln von Buenos Aires einfache aus Eisenrohren gefertigte Gewehre verkauft. Die junge Clara, die er kennen- und lieben lernt, verspottet ihn als "Robin Hood". Er helfe doch nur den armen Leuten zur Selbstverteidigung, rechtfertigt sich Panceta daraufhin. Das Geschäft geht nicht lange gut, Panceta gerät an die örtliche Mafia, die das Waffengeschäft in den Slums kontrolliert.

Ein Mann an der Werkbank - Funkenschlag (Mannheim Filmfestival)
Panceta (Lautaro Delgado) arbeitet hart fürs Überleben - Szene aus "Cano dorado"Bild: iffmh.de

Auf die Frage, warum sein Film und die von vielen Kollegen aus Südamerika so auf das Thema Gewalt setzen, sagt Eduardo Pinto: "Mich interessieren insbesondere diese Geschichten, die das dunkle und das versteckte an die Oberfläche bringen, in diesem Fall geht es um Drogen. Vor allem geht es mir um die Marginalisierung von den Leuten in diesen Vierteln. Sie haben keine anderen Chancen. Und: wir sind Teil der Dritten Welt und das sind nun einmal die Themen, die uns betreffen."

Fremde Filmkulturen: Kolumbien und Nicaragua

Auch der Kolumbianer Jorge Navas blickt in die Abgründe der Millionenmetropole Bogota. Und das noch drastischer, noch schwärzer. Sein Film spielt in einer einzigen Nacht und der Titel des Films "La sangre y la lluvia" sagt sehr genau, um was es geht. In der nächtlichen Tour de Force seiner beiden Protagonisten vermischen sich das Wasser des Dauerregens mit dem Blut der Verletzungen – ein starker, wenn auch sehr düsterer Film Noir.

Eine junge Frau im T-Shirt im Boxstudio (Mannheim Filmfestival)
Will sich nach oben boxen - Yuma (Alma Blanco) in "La Yuma" aus NicaraguaBild: iffmh.de

Die schon lange in Nicaragua arbeitende französische Schauspielerin und Regisseurin Florence Jaugey zeigt in "La Yuma" eine junge Boxerin, die mit Hilfe ihres Sports und einer Bekanntschaft mit einem Jungen aus der Mittelschicht, den Slums zu entkommen versucht. Es ist die typische (Kino-)Geschichte des Underdogs, dem es aber nicht gelingt die sozialen Fesseln seiner Herkunft abzustreifen.

Short Cuts aus Chile

Einzig die beiden chilenischen Filme hellten das Bild von Lateinamerika ein wenig auf. Sowohl "La buena vida" als auch "Ilusiones ópticas" entwerfen im Stile Robert Altmans ein Mosaik des Alltags in dem südamerikanischen Land. Sehr elegant inszeniert und mit starken Schauspielerleistungen überzeugten diese chilensichen Shortcuts in Mannheim das Publikum – ebenso wie ihre düsteren Pendants aus Argentinien und Kolumbien.

Filmfest Mannheim Flash-Galerie
Mario (Eduardo Paxeco) übt für die Aufnahme in der Philharmonie - "La buena vida"Bild: iffmh.de

Natürlich bietet solch eine Handvoll Filme nur einen Ausschnitt aus der inzwischen reichen und vielfältigen Kinoszene des Kontinents. Und doch können sie den deutschen Zuschauern viele Facetten des Lebens in diesen Ländern vermitteln. Dazu gehört im Übrigen auch der Optimismus der Menschen, der unbedingte Lebenswillen, die Phantasie, das Aufbegehren der Protagonisten gegen die Mühen des Alltags.

Hat man vor ein paar Jahren noch über die aus dem Boden schießenden Filmfestivals in aller Welt gelächelt, haben diese heute einen Teil des Kinoalltags ersetzt. Nur noch dort begegnet man in dieser Breite fremder Filmkulturen – abseits von Hollywood und des europäischen Autorenfilms.

Autor: Jochen Kürten

Redaktion: Elena Singer